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Verkehrsinfrastrukturpolitik der EU wird neu justiert

Dr. Hans Jörg Schrötter

„Das römische Reich reichte so weit wie seine Straßen.“ Woher das Zitat stammt, ist mir entfallen. Aber es enthält eine zentrale Botschaft, die sich auch unsere heutige Europäische Union auf die Fahnen haften kann. Und offenbar nun auch heftet. In einer Pressemitteilung vom 11. September 2014 jedenfalls verkündete Slim Kallas, Vizepräsident der EU-Kommission und zuständig für Verkehrsfragen: „Gute Verkehrsanbindungen sind entscheidend für eine effiziente europäische Wirtschaft. Daher sind Investitionen im Verkehrsbereich zur Konjunkturbelebung wichtiger denn je, zumal Wachstum und Wohlstand nur in Gebieten mit einer guten Verkehrsanbindung möglich sind.“

Aber es soll wohl nicht nur bei wohlklingenden Worten bleiben. Im Rahmen einer neuen EU-Infrastrukturpolitik werden die für den Zeitraum 2014 bis 2020 zur Verfügung stehenden Mittel auf 26 Milliarden Euro verdreifacht und die Verkehrsförderung auf ein eng begrenztes Kernnetz neu ausgerichtet. Ziel dieser neuen Politik, so die EU-Kommission, sei ein „leistungsfähiges europäisches Verkehrsnetz, das alle 28 Mitgliedstaaten einschließt und Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit fördert“. Man strebt also, kurz gesagt, „ein wirklich europäisches Netz an, das den Osten und Westen Europas verbindet“.

Um diesem „Kernnetz“ auf die Sprünge zu helfen, wurden nun neun „Hauptverkehrskorridore“ festgelegt. Mitgliedstaaten und Interessenträger sollen ihre naturgemäß knappen Mittel also gemeinsam bündeln und sich auf diese neun Projekte konzentrieren – wobei sich das Kernnetz naturgemäß auf ein Gesamtnetz von Zubringern auf regionaler und nationaler Ebene stützen muss. Es klingt durchaus visionär, wenn expressis verbis angestrebt wird, „dass schrittweise bis 2015 die allermeisten Bürger und Unternehmen in Europa nicht mehr als 30 Minuten“ benötigen sollen, um zu diesem Kernnetz zu gelangen.

 

Die neuen neun Korridore

 

Der Ostsee-Adria Korridor verbindet nicht nur den Ostseeraum mit der Adria, sondern bindet auch die Industriegebiete in Südpolen (Oberschlesien), Wien, Bratislava, die östlichen Alpen und Norditalien mit ein. Er umfasst gleichermaßen wichtige Eisenbahnprojekte wie den Semmering-Basistunnel und die Koralm-Eisenbahn in Österreich.

Der Nord-Ostsee-Korridor verbindet die Häfen der östlichen Ostsee mit den Häfen der Nordsee. Er umfasst die Fährverbindung zwischen Finnland und Estland sowie moderne Straßen- und Schienenverkehrsverbindungen zwischen den baltischen Staaten einerseits und Polen, Deutschland, den Niederlanden und Belgien andererseits. Wichtigstes Vorhaben ist die „Rail Baltica“, eine Eisenbahnstrecke zwischen Tallin, Riga, Kaunas und Nordostpolen.

Der Mittelmeerkorridor folgt als Straßen- und Schienenverbindung der spanischen und französischen Mittelmeerküste, quert die Alpen, verläuft durch Norditalien und weiter entlang der slowenischen und kroatischen Mittelmeerküste, die er in Richtung Ungarn verlässt.

Der Korridor Orient – östliches Mittelmeer verbindet maritime Schnittstellen der Nord- und Ostsee, des Mittelmeers und des Schwarzen Meeres und soll die Auslastungen der betreffenden Häfen optimieren. Über das Meer hinweg erstreckt sich dieser Korridor von Griechenland bis Zypern.

Der Korridor Skandinavien – Mittelmeer gilt als eine der wichtigsten Nord – Süd – Achsen für die europäische Wirtschaft. Er quert die Ostsee zwischen Finnland und Schweden, verläuft weiter durch Deutschland, über die Alpen, erstreckt sich bis Italien und verbindet so die großen Produktionstandorte in Südwestdeutschland und Norditalien. Von Süditalien aus verläuft er weiter über das Mittelmeer nach Malta. Die ambitioniertesten Projekte dieses Korridors sind die feste Femarnbelt-Querung und der Brenner-Basistunnel.

Der Rhein-Alpen-Korridor, eine der am meisten befahrenen Güterverkehrsstrecken Europas, verbindet Rotterdam und Antwerpen über die Schweiz mit Genua – unter Einbindung wichtiger Wirtschaftszentren in der Rhein-Ruhr- und Rhein-Main-Neckar-Region sowie des Großraums Mailand. Als multimodaler Korridor umfasst das Vorhaben auch den guten alten Rhein als Binnenwasserstraße.

Der Atlantik-Korridor verbindet den Westen der Iberischen Halbinsel und die Häfen Le Havre und Rouen mit Paris und Mannheim bzw. Straßburg durch Hochgeschwindigkeitsstrecken und parallel verlaufende herkömmliche Schienenanbindungen.

Der Nordsee-Mittelmeer-Korridor erstreckt sich von Irland und dem Norden Großbritanniens durch die Niederlande, Belgien und Luxemburg bis nach Südfrankreich zum Mittelmeer. Auch er ist multimodal, bezieht die Flüsse Maas, Rhein, Schelde, Seine, Saone und Rhone ein und dient zudem der besseren Anbindung der britischen Inseln an das europäische Festland.

Der Rhein-Donau-Korridor mit Main und Donau als zentrale Elemente verbindet die Wirtschaftszentren Straßburg und Frankfurt über Südwestdeutschland mit Wien, Bratislava, Budapest und schließlich dem Schwarzen Meer, wobei sich ein wichtiger Abzweig von München über Prag, Zilina und Kosice bis zur ukrainischen Grenze erstreckt.

 

Welche Mittel können wie beantragt werden?

 

Mit 26 Milliarden Euro hat sich die EU-Förderung für den Verkehrsbereich im Rahmen der neuen Fazilität „Connecting Europe“ (CEF) gegenüber dem Zeitraum 2007 bis 2013 mehr als verdreifacht. Seinerzeit standen 8 Mrd. Euro zur Verfügung – wovon 770 Millionen Euro an Deutschland geflossen sind. Die EU-Kommission wird nun regelmäßig dazu auffordern, Projektvorschläge einzureichen, damit nur die besten Vorhaben – sprich: die Vorhaben mit dem höchsten EU-Mehrwert – eine finanzielle Unterstützung der EU erhalten. Bei dem Großteil der Antragsteller wird es sich um Mitgliedstaaten handeln. Gefördert werden wettbewerbsfähige Projekte, die sich

- auf die obigen neun Hauptverkehrskorridore konzentrieren

- die aufgrund ihres grenzübergreifenden Charakters schwer durchzuführen sind

- oder die eine sehr lange Amortisationszeit haben

CEF-Mittel für den Verkehr werden hauptsächlich in Form von Finanzhilfen gewährt. Allerdings – und das ist und bleibt zentral entscheidend – müssen auch die Mitgliedstaaten einen in aller Regel nennenswerten finanziellen Beitrag leisten.

 

Fazit: Großer Kraftakt

 

Insgesamt stellen diese Neuerungen – die Verdreifachung der Finanzmittel sowie die Entscheidung, die Förderung gezielt auf neun Hauptkorridore zu konzentrieren – die tiefgreifendste Umgestaltung der EU-Politik im Bereich der Verkehrsinfrastruktur seit den Anfängen der 1980er Jahre dar.

Alles in allem dürfen wir hier also einen durchaus denkwürdigen Versuch bestaunen – um nicht zu sagen: einen Kraftakt. Erfahrungsgemäß ist es außerordentlich schwierig, Verkehrsvorhaben, die über Landesgrenzen hinweg reichen oder gar in verschiedenen Mitgliedstaaten umgesetzt werden müssen, zu koordinieren. Nicht nur hat man es oft mit nicht kompatiblen Systemen zu tun; große Probleme stecken auch darin, dass die Vorhaben über Grenzen hinweg zeitlich aufeinander abgestimmt werden müssen.

Was hinzu kommt: die Verkehrsinfrastruktur erfordert enorme Investitionen – die zum Großteil stets von den Mitgliedstaaten finanziert werden müssen. Die Rolle Europas im Hinblick auf Investitionen und Koordinierung ist es, den Überblich zu wahren und einen Mehrwert zu schaffen, indem Engpässe beseitigt und bestehende Lücken durch neue Verbindungen geschlossen werden, um so ein wirklich europaweites Verkehrsnetz zu erreichen.


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