Kontakt

mdw
Mitteldeutscher Wirtschaftsverlag GmbH
Vor dem Viehtor 22
39576 Stendal

Telefon: 03931 / 21 06 22
Fax: 03931 / 21 06 44
e-Mail: info@verlag-mdw.de

Nicht nur Potenziale beschwören, sondern durch richtiges Handeln heben

mdw-Herausgeber und Chefredakteur André Wannewitz trifft die Berliner Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer (CDU).

mdw-Gespräch mit Cornelia Yzer (CDU), Senatorin für Wirtschaft, Technologie und Forschung im Senat von Berlin

mdw: Frau Senatorin, seit zwei Jahren fungieren Sie als die oberste politische Wirtschaftslenkerin in Berlin. Sie haben sich zum Ziel gesetzt, Berlin neben seiner Rolle als politische Hauptstadt und Kulturmetropole auch wieder zu einem der führenden Wirtschaftsstandorte in Deutschland zu machen. Wie fällt Ihre Bilanz am Ende dieses Jahres aus?

 

Yzer: Berlin ist eine attraktive, international anerkannte, wirtschaftlich starke und kreative Metropole mitten in Europa. Die Zahl der Erwerbstätigen steigt, die Wirtschaft legt zu, und immer mehr Menschen ziehen der Karriere wegen nach Berlin. Berlin ist Deutschlands Gründerhauptstadt mit rund 40 000 Gründungen pro Jahr. Jeden Tag gehen in Berlin durchschnittlich zwei neue Start-ups in den innovativen, wachstumsstarken und technologieorientierten Branchen wie der Digital Wirtschaft, Bio- oder Medizintechnik oder dem Bereich Elektronik und Mobilität an den Start. Und kein anderes Bundesland zieht so viel Wagniskapital für junge IT- und Internet-Startups an wie Berlin. Die Kreativwirtschaft hat sich außerdem zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor etabliert. Kurzum: Berlin boomt, und darüber freue ich mich natürlich sehr.

 

mdw: Sie kennen sich sowohl in der Bundespolitik als auch in der Verbandsarbeit gut aus. Sie waren in der Regierung Helmut Kohl Staatssekretärin im Bundesforschungsministerium und später Hauptgeschäftsführerin des Verbandes forschender Arzneimittelhersteller. Wie gut ergänzen sich diese Lebenserfahrungen mit Ihrer heutigen Tätigkeit, das Land Berlin zu neuen wirtschaftlichen Erfolgen zu führen?

 

Yzer: Die Erfahrung, die ich in der Wirtschaft über viele Jahre gemacht habe, ist für das Amt der Wirtschaftssenatorin tagtäglich hilfreich. Ich weiß, wie beispielsweise Investitionsentscheidungen in Unternehmen laufen und nutze dieses Know how, um den Wirtschaftsstandort Berlin erfolgreich ins Spiel zu bringen. Wir dürfen nicht nur die Potenziale des Standorts beschwören, sondern müssen sie durch richtiges Handeln heben.

 

mdw: Ihr Terrain in der Vergangenheit war vor allem die Forschung. Auch jetzt gehört dieser Bereich zu Ihrem Verantwortungsbereich als Politikerin…

 

Yzer: Zu Recht haben wir das Wirtschaftsressort der Hauptstadt so zugeschnitten, dass Forschung mit dazu gehört. Denn wir haben die Unternehmen eng mit Forschung und Entwicklung verknüpft, weil nur über Innovation Wachstum generiert wird. Die Region verfügt bundesweit über die höchste Dichte an Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen. Zahlreiche zukunftsträchtige Innovationsfelder wie Life Science, IKT, Mobilität, Energietechnik oder Optik sind Ausdruck des qualitativen Wandels der Berliner Wirtschaft nach zum Teil schmerzhaften Umstrukturierungsprozessen in den 90er Jahren. Wenn es uns gelingt, Wirtschaft, Forschung und Wissenschaft noch stärker als bisher miteinander zu verknüpfen, entstehen innovative Entwicklungspotenziale, um die uns andere Regionen beneiden werden.

 

mdw: Schaut man sich in Berlin um, gibt es viele Baustellen, auf denen Sie bereits initiativ sind oder es noch werden wollen: Die Messe Berlin, die Hauptstadt der Digitalwirtschaft, die Notwendigkeit, neue Industriefirmen in Berlin anzusiedeln, die regionale Wirtschaftsförderung zu stärken. Wo drückt der Schuh am meisten?

 

Yzer: Wir müssen alles tun, damit sich die Rahmenbedingungen für Investoren und für die ansässigen Firmen weiter verbessern, um so zu einer höheren Wirtschaftsleistung beizutragen. Wir haben derzeit in Berlin ein günstiges Zeitfenster für Investitionen: Berlin hat sich zum Beispiel als Hotspot der Internet- und Kreativszene etabliert, allein die Börsengänge von Zalando und Rocket Internet machen deutlich, welches Potenzial in der Hauptstadt vorhanden ist.

Zur Schaffung günstiger Bedingungen in Berlin gehört zum Beispiel die beschleunigte Umsetzung der neuen Liegenschaftspolitik. Dort, wo Investoren sich um Grundstücke bewerben, darf der Entscheidungsprozess nicht lange dauern. Dazu gehört aber auch eine moderne Vergabepraxis. Hierzu habe ich kürzlich eine Reforminitiative gestartet. Wir wollen die Vergabe von öffentlichen Aufträgen für Bieter und Auftraggeber – immerhin Aufträge im Wert von 4 bis 5 Milliarden Euro jährlich – vereinfachen und gleichzeitig aber auch Innovationen stärker fördern. Umgesetzt haben wir bereits eine Technologieplattform, auf der technische Weiterentwicklungen im Rahmen von Vergabeverfahren besser berücksichtigt werden können.

 

mdw: Sie haben das rasante Wachsen der Stadt angesprochen. Innerhalb von 10 Jahren werden 300 000 Menschen mehr in der Hauptstadt leben als heute. Das sind mehr Einwohner als Halle besitzt. Welche Chancen eröffnen sich für die Berliner Wirtschaft durch die wachsende Stadt?

 

Yzer: Megacitys verlangen nach intelligenten und vernetzten Lösungen zu den vielfältigen stadtplanerischen, demografischen, ökologischen und ökonomischen Herausforderungen. Berlin ist dabei schon heute Einsatzfeld für technische Lösungen, ist bereits eine Smart City. Nicht umsonst hat der weltweit führende IT-Anbieter Cisco Berlin als Standort für sein „Internet of Everything“-Innovationszentrum gewählt und wird auf den EUREF-Campus am Gasometer in Schöneberg ziehen. Zu den rund 6 000 Unternehmen der Berliner Digitalwirtschaft gehört seit Oktober auch der größte deutsche Energiekonzern. Eon hat eine „Digital Transformation Unit“ in Berlin gegründet und gesellt sich damit zu zahlreichen Inkubatoren und Acceleratoren großer deutscher, aber auch internationaler Unternehmen, die in der Stadt bedeutsame Impulse setzen. Die Unternehmen zeigen damit, dass Berlin nicht nur Kreativität und Erfindungsreichtum besitzt, sondern auch die Kraft, das technologisch Mögliche in die Anwendung zu bringen und damit Referenzstadt für die Lösungen von morgen zu sein.

 

mdw: Wie bewerten Sie als Berliner Wirtschaftssenatorin den derzeitigen Bauverlauf am BER? Stimmen jüngste Verlautbarungen, die besagen, dass vertrauliche Informationen mögliche Extrakosten des Berliner Großflughafens auf 3,2 Milliarden Euro beziffern?

 

Yzer: Die eingetretene Verzögerung bei der immer noch ausstehenden Inbetriebnahme des BER ist natürlich sehr unerfreulich. Vorrangig bleiben aus meiner Sicht eine baldige Eröffnung und eine reguläre Inbetriebnahme. Darauf hofft insbesondere die Berliner Wirtschaft. Trotz der unbefriedigenden Situation haben sich die Fluggäste aber auf die bestehende Situation eingerichtet und die damit verbundene Übergangslösung akzeptiert. Die Fluggastzahlen in Berlin steigen weiter, und wir erreichen voraussichtlich am Ende des Jahres eine Rekordmarke von 29 Millionen Passagieren. An Spekulationen zu möglichen Kostensteigerungen möchte ich mich aber nicht beteiligen.

 

mdw: Bleiben wir mal beim wichtigen Thema Verkehr und Logistik. Die Hauptstadtregion wird immer mehr zu einem bedeutenden Treiber auch für innovative Verkehrslösungen. Das hat die diesjährige Messe „InnoTrans“ gezeigt. Auf welche inhaltlichen Schwerpunkte setzt die Berliner Landesregierung zukünftig beispielsweise beim Automobil, beim Schienenverkehr, der Luft- und Raumfahrt?

 

Yzer: Die Bereiche Verkehr, Mobilität und Logistik sind wichtige Schwerpunkte der Technologiestrategie der Hauptstadt und ein großer Wirtschaftsfaktor. Lassen Sie mich zwei besondere Elemente nennen: Zum einen die Elektromobilität als Schaufensterprojekt. Die Hauptstadtregion ist Referenzlabor der Antriebstechnologie der Zukunft. Bereits heute fahren deutschlandweit in Berlin die meisten Elektroautos. 450 Akteure sind im Bereich der Elektromobilität aktiv, 80 Projekte laufen zurzeit. Diese Technik wird in Berlin nachhaltig Wachstum und Beschäftigung schaffen. Das betrifft  intelligente und kostengünstige Lösungen für das Laden der Batterie, aber auch Fahrzeug- und Antriebstechnik. Beim automatischen Fahren unterstützt das Land Berlin beispielsweise Projekte von Unternehmen und Wirtschaftseinrichtungen, die in entscheidenden Bereichen wie Sensorik, Bildverarbeitung und Systemintegration arbeiten. Sie haben die Luft- Raumfahrttechnik erwähnt: Bei der Triebwerksentwicklung und -fertigung zählt die Hauptstadtregion schon heute zu den führenden europäischen Standorten. Ebenso sind wir bei der Entwicklung und Vermarktung moderner Test- und Simulationswerkzeuge für sicherheitsrelevante Bauteile von Flugzeugen stark.

 

mdw: Auch die Unternehmen der Gesundheitswirtschaft setzen in der Hauptstadt ganz eigenständige Akzente in ihren Leistungsspektren. Die Charité-Universitätsmedizin, das Unfallkrankenhaus Berlin sind hochspezialisierte klinische Zentren zur Rettung und Rehabilitation von Patienten aus dem gesamten Bundesgebiet. Wie fördern und fordern Sie dieses zukunfts- und wachstumsorientierte Cluster der Medizin, das immer mehr an wirtschaftlicher Bedeutung gewinnt?

 

Yzer: Die Hauptstadt ist international einer der führenden Standorte in der Gesundheitswirtschaft. Dafür stehen mehr als 200 000 Beschäftigte in mehr als 13 000 Unternehmen und einem Umsatz von rund 16,3 Milliarden Euro jährlich allein in Berlin. Die Gesundheitswirtschaft ist damit Motor für Wachstum und Beschäftigung und der Garant für eine Gesundheitsversorgung auf höchstem Niveau.

Neben den vielen gut ausgebildeten Fachkräften in der Gesundheitswirtschaft existieren in der Region mehrere Innovations- und Gründerzentren, um den Unternehmen Ansiedlungs- und Expansionsflächen zur Verfügung zu stellen. Bayer beispielsweise hat mit dem CoLaborator in unserer Stadt ein Zeichen gesetzt.

Finanziell unterstützt das Land Berlin technologische Neuerungen mit Fördermitteln und durch den Wagniskapitalfonds der IBB-Beteiligungsgesellschaft mit rund 40 Millionen Euro in diesem und nächsten Jahr. Darüber hinaus bietet Berlin Partner für Wirtschaft und Technologie maßgeschneiderten Service für die Akteure, beispielsweise mit der Durchführung von „Barcamps“ zur Vernetzung von Start-ups mit KMU und Großunternehmen oder durch Seed Camps der LifeScience, um die Gründungskompetenz junger Wissenschaftler zu stärken.

 

mdw: Stichwort Energietechnik. Die Hauptstadt gehört zu den Regionen mit der höchsten Dichte an Energietechnik-Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Beschäftigten in Deutschland. Elek-tromobilität, Netzintegration erneuerbarer Energien, Versorgungsstrukturen sind nur einige wenige Stichwörter. Wie gelingt es der deutschen Hauptstadt, ihren Beitrag zum Vorankommen der Energiewende zu leisten?

 

Yzer: Der Forschungs- und Industriestandort Berlin nimmt bereits jetzt eine zentrale Rolle bei der Energiewende ein. Berliner Unternehmen in den Technologiefeldern Solar- und Windenergie, Energieeffizienz, Speichertechnik, Kreislaufwirtschaft und Biogaserzeugung sind bereits heute ein Beispiel dafür, wie vielfältige Geschäftsmodelle für die Energieversorgung der Zukunft entwickelt und angeboten werden können. Sie schaffen neue Produkte und investieren zugleich in Energieeffizienz – sind damit Produzent, Entwickler und Anwender neuester Energietechniken. So kommt aus Berlin auch die weltweit effizienteste Gasturbine.

Hinzu kommt: Die Hauptstadt bietet ein breites Spektrum an unternehmensnaher Forschung und Entwicklung sowie eine lebendige Start-up- und Gründerszene und eine technologieorientierte Industrie. Mit unseren „Zukunftsorten“ haben wir Praxislabore, die neue Trends setzen, die im überregionalen und internationalen Maßstab bestehen können. Beispiele dafür sind der Wirtschafts- und Technologiepark Berlin-Adlershof oder der Flughafen Tegel, der zum Forschungs- und Industriepark Urban Tech Republic entwickelt werden soll. Auch deswegen wartet die Senatswirtschaftsverwaltung auf die Aufnahme des BER-Flugbetriebs.

 

mdw: Welche Vision wird Sie auch im nächsten Jahr antreiben?

 

Yzer: Ich möchte weiterhin tatkräftig dazu beizutragen, dass Berlin überdurchschnittlich wächst und zu einer technologisch führenden, voll vernetzten Stadt wird, die den Anforderungen der Bürger entspricht.

Das Gespräch führte Chefredakteur André Wannewitz


Top