Das Märchen vom "Goldenen Pass"
Etwas teuer verkaufen, ohne dass Herstellungskosten anfallen? Es ist kein Märchen – sondern eine höchst lukrative Geschäftsidee. Rumänien war kaum vier Jahre Mitglied der Europäischen Union (EU), da setzte ein reger Pendelverkehr ein. Ausländer aus allen Teilen Moldaus, teilweise auch aus der Ukraine, wurden in Kleinbussen, besetzt mit bis zu 20 Aspiranten, vor die Konsularabteilungen gefahren. Dort stellte man ihnen – natürlich gegen eindrucksvolle Zahlungen – einen rumänischen Pass aus. DIE WELT berichtete am 9.Januar 2014 von „Masseneinbürgerungen“: „Die rumänischen Behörden bürgern gegen eine Gebühr massenhaft Bewohner der Nachbarrepublik Moldau ein.“ Moldawer und Ukrainer erhielten auf diesem bequemen Weg einen Freifahrschein für die EU mit sämtlichen Vorteilen – von der Arbeitserlaubnis und der Reisefreizügigkeit bis hin zum Recht, das Europäische Parlament mitzuwählen. Kurzum: Rumänien wurde zum „Einfallstor in die EU“ – so DIE WELT.
Von offizieller Seite hieß es seinerzeit, man erwarte insgesamt 700 000 bis 800 000 Anträge auf eine rumänische Staatangehörigkeit. Moldau hat etwa 3,5 bis vier Millionen Einwohner; viele von ihnen wurden quasi durch die Hintertür Unionsbürger. Aus rumänischer Sicht zählten nicht nur die stolzen Kaufpreise; hinzu kam, dass die Nation in willkommener Weise größer wurde. Es ist schließlich kein Geheimnis: höhere Einwohnerzahlen versprechen gemäß dem Schlüssel für die Zuteilung der begehrten EU-Fördermittel aus den Strukturfonds mehr Geld aus Brüssel.
Rumänien ist kein Einzelfall. Allein Zypern verdiente mit dieser Art der Einbürgerung in sieben Jahren zwischen 7 und 8 Milliarden Euro. Über die Hälfte der 4 000 auf diesem Wege Eingebürgerten waren russische Oligarchen.
In Malta liegt die Mindestinvestitionssumme bei 690 000 Euro für eine Staatsbürgerschaft innerhalb von 12 bis 36 Monaten. Bis einschließlich 2020 nahm Malta mehr als 1,4 Milliarden Euro durch diesen Handel ein.
Alternative „Goldenes Visum“
Auch in der Variante des „Goldenen Visums“ blüht das Geschäft. Das in Portugal 2012 eingeführte „Goldene Visum“ brachte dem Land bis 2022 Einnahmen von ca. 6,5 Milliarden Euro. Ausländer konnten für eine Aufenthaltsgenehmigung entweder eine Immobilie erwerben oder einen Teil ihres Vermögens in das Land investieren.
Spanien hat 2013 sein Programm „Residenz durch Investition“ eingeführt. Auch hier wird Ausländern und ihren Familien, die in Immobilien im Land investieren, ein Aufenthaltsrecht gewährt. Um das goldene Visum zum Leben, Arbeiten und Studieren in Spanien zu erhalten, ist eine Investition von 500 000 EUR in Immobilien erforderlich. Es genügt auch, Unternehmensanteile oder Bankeinlagen im Wert von mindestens 1 Million Euro bei spanischen Finanzinstituten zu halten oder in Staatsanleihen im Wert von mindestens zwei Millionen Euro zu investieren.
Italien ist ein weiteres beliebtes Ziel für alle, die einen Aufenthalt durch Investitionen anstreben. Das 2017 eingeführte goldene Visum gewährt Nicht-EU-Bürgern für eine Investition in Italien eine Aufenthaltserlaubnis für zwei Jahre. Die Mindestinvestition beträgt 500 000 Euro.
Eines der schnellsten Verfahren bietet Griechenland an. Qualifizierte Ausländer können innerhalb von 60 Tagen nach Antragstellung eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten. Inhaber eines goldenen Visums sind nicht verpflichtet, in Griechenland zu bleiben, um ihr Visum zu behalten. 2013, mit dem Start des Programms, galt hier eines der niedrigsten Schwellenwerte, nämlich nur 250 000 Euro für Immobilien im Land. 2022 wurde diese Grenze allerdings auf 500 000 Euro angehoben. Bis Ende 2021 verzeichnete das Land 9 500 Anträge für diese Art des Aufenthalts durch Investitionen, eine der höchsten Zahlen in Europa.
Stirnrunzeln in Brüssel
Die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der EU bietet erhebliche Vorteile: sie garantiert das Recht, in allen EU-Staaten zu arbeiten, zu studieren und zu leben. Sie öffnet das Tor zu einem großen Raum der Freizügigkeit – in vielen Fällen auch zu einem Raum ohne Personenkontrollen an den Binnengrenzen der Staaten des Schengener Abkommens.
Man ist also „Unionsbürger“ – was nicht darüber hinwegtäuschen darf, dass jedes EU-Land für sich und ausschließlich nach eigenen nationalen Regeln entscheidet, wem es einen Pass oder eine Aufenthaltsgenehmigung erteilt. Die Union hat insoweit keine Rechtsetzungsbefugnis. Nach den vertraglichen Regelungen ist die Unionsbürgerschaft akzessorisch zur nationalen Staatsbürgerschaft (Art. 20 Abs. 1 Satz 2 AEUV). „Unionsbürger“ ist, wer die Staatsangehörigkeit eines der 27 EU-Mitgliedstaaten besitzt.
Die Möglichkeiten der Europäischen Kommission, hier einzugreifen, sind also denkbar gering. Dennoch sind ihr die Programme, die einen Wohnsitz oder gar die Staatsbürgerschaft in der EU vermitteln, seit langem ein Dorn im Auge. Denn sie öffnen nicht nur wohlmeinenden Menschen die Tür zur EU und bergen nennenswerte Risiken.
Das Europäische Parlament warnte in diesem Zusammenhang schon 2018 nicht nur vor einer „Abwertung“ europäischer Staatsangehörigkeiten, sondern verwies auch „auf das Potenzial für Korruption, Geldwäsche und Steuerhinterziehung“. Im März 2020 wurden die europäischen Abgeordneten konkreter; sie forderten ein Verbot der Praxis, Staatsbürgerschaften im Gegenzug für Investitionen zu vergeben, und mahnten EU-weite Regeln für den Erwerb von Aufenthaltsrechten durch Investitionen an.
2022 reagierte auch die EU-Kommission; sie forderte die Regierungen der EU-Staaten auf, den Verkauf von Staatsbürgerschaften an ausländische Investoren einzustellen. Die Aufforderung war Teil eines Vorstoßes gegen diese „kombinierte Multi-Milliarden-Euro-Industrie“; sie sei „ein Einfallstor für organisierte Kriminalität“ und man müsse „verhindern, dass die Inhaber Geldwäsche betreiben und Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen“, so die Kommission.
Hinweise der EU auf die Risiken für die Sicherheit, die Transparenz und die gemeinsamen europäischen Werte, die diesen Programmen innewohnen, sind nicht neu. Im Zuge des Angriffs Russlands auf die Ukraine nahmen diese Bedenken merklich zu. So forderte Brüssel die Mitgliedsländer nun dezidiert auf, zu überprüfen, ob Personen, gegen die aufgrund des Krieges Sanktionen verhängt wurden, im Besitz eines von ihnen ausgestellten goldenen Passes oder Visums waren.
Jüngste Entwicklungen
Am Oktober 2020 startete die EU gegen Malta ein Vertragsverletzungsverfahren wegen des Handels mit Staatsbürgerschaften. Die Zahl der EU-Länder, die noch goldene Pässe oder Visa anbieten, ist seither überschaubar geworden: Zypern stoppte den Verkauf zyprischer Staatsbürgerschaften im November 2020. Im Februar 2022, zwei Jahre nach dem „Brexit“, schaffte die britische Regierung ihr Goldenes-Visum-Programm ab, das es wohlhabenden Ausländern ermöglichte, sich im Land niederzulassen, wenn sie einen Teil ihres Vermögens mitbrachten. Die Entscheidung richtete sich auch gegen die im Land weitverbreitete Geldwäsche, vor allem durch russische Oligarchen. Im Februar 2023 hat auch Irland sein goldenes Visumsprogramm – das Immigrant Investor Programme – abgeschafft, mit dem sich im Land niederlassen konnte, wer 500 000 Euro spendete oder drei Jahre lang jährlich eine Million Euro in das Land investierte. Für russische Staatsbürger war das Programm bereits im März 2022 wegen der kriegsbedingt gegen Russland verhängen EU-Sanktionen ausgesetzt worden.
Gefahren drohen auch aus Ländern außerhalb der EU. Im Oktober 2022 forderte die EU-Kommission Albanien auf, „von der Entwicklung eines Staatsbürgerschaftsprogramms für Investoren (goldene Pässe) abzusehen“; es berge „Risiken in Bezug auf Sicherheit, Geldwäsche, Steuerhinterziehung, Terrorismusfinanzierung, Korruption und Unterwanderung durch das organisierte Verbrechen“ und sei „mit den EU-Normen unvereinbar“.
Ebenso plädierte die Kommission dafür, die Visabefreiung für Vanuatu wegen des Risikos von goldenen Pässen auszusetzen. Staatsangehörigen von Drittländern nämlich, die die vanuatuische Staatsbürgerschaft erwerben – sie ist namentlich bei wohlhabenden Chinesen beliebt und erfordert keinen Wohnsitz in der südpazifischen Inselrepublik – gewährt sie automatisch den visumfreien Zugang zu den Ländern des Schengen-Raumes.
Völkerrechtliche Grenzen?
Ob die Staaten allerdings bei der Verleihung ihrer Staatsbürgerschaft tatsächlich völlig frei sind, ist umstritten. So müssen sie bestimmte, allerdings sehr weit gefasste völkerrechtliche Grenzen beachten. Deren Verletzung führt dazu, dass andere Staaten die Verleihung der Staatsbürgerschaft nicht anerkennen müssen.
Völkerrechtlich verbindliche Regeln, die den Erwerb der Staatsangehörigkeit betreffen, finden sich in Artikel 6 des Europäischen Übereinkommens über die Staatsangehörigkeit vom 6. November 1997. Darin heißt es: „Jeder Vertragsstaat sieht in seinem innerstaatlichen Recht die Möglichkeit der Einbürgerung von Personen vor, die sich rechtmäßig und gewöhnlich in seinem Hoheitsgebiet aufhalten.“
Wer lediglich als „Pass-Tourist“ mit dem Kleinbus für 20 Minuten über die Grenze kommt, dürfte sich kaum „gewöhnlich“ dort aufhalten.