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"Wir tun alles, damit Sachsen-Anhalt bestmöglich aufgestellt ist, wenn die Kohleverstromung endet"

Staatssekretär Dr. Jürgen Ude

Aktuelles Gespräch mit Dr. Jürgen Ude, Staatssekretär in der Staatskanzlei für Großinvestitionen und Strukturwandel

mdw: Herr Staatssekretär, Deutschland will in naher Zukunft aus der Kohle aussteigen. Damit endet eine mehr als 150-jährige stolze Tradition der Förderung und Verarbeitung des Schwarzen Goldes allein im Mitteldeutschen Revier. In der Staatskanzlei in Magdeburg wurde extra dafür eine Stabstelle gegründet, um den Strukturwandel federführend zu begleiten. Ist das Land Sachsen-Anhalt vorbereitet, wenn spätestens im Jahr 2038 die Kohlekraftwerke abgeschaltet werden?

Jürgen Ude: Wir tun zumindest alles dafür, dass Sachsen-Anhalt bestmöglich aufgestellt ist, wenn die Kohleverstromung endet. Dies begann bereits mit der Verhandlung des Investitionsgesetzes Kohleregionen (InvKG), bei dem für das sachsen-anhaltische Revier insgesamt 4,8 Mrd € an Mitteln verhandelt wurden. Um dieses Geld auch ausreichen zu können, lag nach Verabschiedung des Gesetzes im Juli 2020 der Fokus auf der Schaffung der verwaltungstechnischen Vor-aussetzungen wie z.B. das Erstellen einer Richtlinie. Im Jahr 2021 wurde dann ein intensiver Strategieprozess vollzogen, an dessen Ende ein konkreter Fahrplan bis 2038 stand – das Strukturentwicklungsprogramm. Auf dieser Basis wurden bis jetzt im Rahmen der Finanzhilfen 32 Projekte beantragt und davon 15 Projekte bewilligt. Viele weitere Projekte werden durch den Bund selber umgesetzt, wie zum Beispiel Bahnverbindungen oder Forschungsvorhaben. Perspektivisch wird es darauf ankommen, dass die Projekte zügig in die Umsetzung gehen, was bei den teilweise langen Planungsphasen und aktuellen Lieferengpässen gar nicht so einfach ist. Insgesamt bin ich sehr froh, dass mich mein Weg als Staatssekretär zu diesem Thema geführt hat und ich den bislang erfolgreichen Weg Sachsen-Anhalts nun mitgestalten darf.

mdw: Ist das genannte Kohleausstiegsdatum in Deutschland überhaupt zu halten angesichts der aktuellen weltpolitischen Entwicklung insbesondere mit Blick auf Russland als den bisher für Deutschland entscheidenden Rohstofflieferanten?

Jürgen Ude: In vorausschauender Weise hatte man sich im Rahmen des Kohlekompromisses auf einen langfristigen Ausstiegspfad geeinigt. Trotzdem ist es so, dass man auf Erdgas als Brückentechnologie nun nicht mehr im vorgesehenen Maße zählen kann. Die Perspektive muss daher sein, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien schneller voranschreitet. Sachsen-Anhalt erzeugt bereits mehr als 58 Prozent seines Stroms mit erneuerbaren Energien. Im Jahr 2019 entsprach das eines Leistung von 14,9 Terrawattstunden. Allerdings hat sich der Ausbau erneuerbarer Energien in den vergangenen fünf Jahren deutlich verlangsamt, weshalb wir hier sowie in den Sektoren Wärme und Verkehr verstärkten Handlungsbedarf sehen. Falls dies nicht gelingt, werden wir im Hinblick auf Versorgungssicherheit und Preisstabilität länger von der Kohle abhängig sein. Ein Kohleausstieg vor 2038 scheint aufgrund der aktuellen Situation insgesamt unrealistisch.

mdw: Welche Folgen ergeben sich für Ihr Bundesland und für die heutigen Kohlereviere in der Phase des Strukturwandels? Welche Vorstellungen haben Sie, dass der Strukturwandel überhaupt gelingt?

Jürgen Ude: Ich bin absolut überzeugt davon, dass wir den Strukturwandel in der Kohleregion erfolgreich bewältigen werden. Die Revierregion ist traditionell ein wirtschaftliches „Schwergewicht“ in Mitteldeutschland. 40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts des Landes Sachsen-Anhalt werden hier erwirtschaftet. Aktuell arbeiten ca. 5 000 direkt Beschäftigte in der Braunkohle im Mitteldeutschen Revier. Für die Schaffung neuer, nachhaltiger, attraktiver und hochwertiger Arbeitsplätze bedarf es innovativer und zukunftsfähiger Projekte. Eine enge Vernetzung von Wirtschaft, Wissenschaft und Bildung ist der entscheidende Schlüssel für die Nutzung des vorhandenen Innovationspotentials im Revier, schafft Zugang zu Nachwuchskräften, ist essentiell für die Wettbewerbsfähigkeit.
Mit der Förderung von Bund und Land wollen wir zum einen erreichen, dass mehr Arbeitsplätze neu entstehen als die, die in der Kohlewirtschaft verloren gehen. Es geht aber um weit mehr als diesen zahlenmäßigen Effekt: Wir wollen im heutigen Revier neue Perspektiven für Wachstum und Beschäftigung schaffen, d.h. Jobs in zukunftsfesten Branchen, klimafreundliche und energieeffiziente Produktionsweisen und das alles in einem attraktiven Umfeld für Fachkräfte und ihre Familien.
Die ersten Erfolge in diesem langfristigen Prozess sind heute schon erkennbar. Die neu entstehenden Arbeitsplätze bei den schon erfolgten Unternehmensansiedlungen, aber auch bei den geplanten Vorhaben, z.B. den neuen Gewerbegebieten, werden die wegfallenden Arbeitsplätze in der Kohle übertreffen. In Zukunftsmärkten, wie der Bioökonomie, entwickelt sich Sachsen-Anhalt zur Vorreiterregion. Auch im Bereich Wasserstoff sind viele konkrete Investitionen geplant. Nicht zuletzt wird die Region jeden Tag ein stückweit attraktiver: durch die zahlreichen städtebaulichen und touristischen Fördermaßnahmen.
Auf diese Weise gelingt es uns, davon bin ich überzeugt, die Wirtschaft nachhaltig zu stärken, junge und ältere Arbeitskräfte in der Region zu halten und auch auswärtige Familien für einen Zuzug zu begeistern!

mdw: Welche konkreten Maßnahmen und Zielsetzungen planen Sie für Sachsen-Anhalts Süden? Neben Sachsen-Anhalt sind ja auch Brandenburg und Sachsen im Osten Deutschlands so genannte Kohleländer. Gibt es aus diesem Dreiklang heraus gemeinsame Verabredungen, Planungen und Vorhaben, wie der Strukturwandel ablaufen kann?

Jürgen Ude: Der politisch beschlossene Ausstieg aus der Braunkohleverstromung greift tief in die Wertschöpfungsketten unserer regionalen Wirtschaft ein. Arbeitsplätze und Kapitalgewinn gehen in erheblichem Ausmaß verloren. Die Voraussetzungen für den Aufbau neuer Beschäftigung gilt es ebenso zu schaffen wie Wertzuwächse als gleichwertigen Ersatz für wegfallende Arbeitsplätze und Wertschöpfung. Im engen Schulterschluss zwischen unserem Land, unseren Kommunen und Aufgabenträgern, unseren Forschungs- und Bildungseinrichtungen sowie unseren regionalen Unternehmen und Sozialpartnern muss der Strukturwandel ökonomisch, ökologisch sowie sozial nachhaltig erfolgreich gestaltet werden. Nur so kann es gelingen, den Menschen im Süden Sachsen-Anhalts neue Perspektiven zu bieten. Auf unserer Webseite strukturwandel.sachsen-anhalt.de zeigen wir eine ganze Reihe sehr vielversprechender Projekte, die vor allem die Wirtschaftskraft der Region stärken und sichere Arbeitsplätze garantieren. Der Wasserstoffwirtschaft und der grünen bzw. nachhaltigen Chemie kommt eine maßgebende Bedeutung zu. Projektseitig sind im Bereich der Wasserstoffwirtschaft der Energiepark Bad Lauchstädt (Reallabor der Energiewende), die Entwicklung von entsprechenden Gewerbegebieten und der H2 Competence Hub zu nennen. Im Bereich der nachhaltigen Chemie das Großforschungsinstitut CTC (Center for the Transformation of Chemistry), der Bioeconomy Hub und der Innovationshubs „Zukunft Holz und Klima“.
Wir stehen im ständigen Austausch zu den Strukturwandel-Verantwortlichen in Brandenburg, Sachsen und Nordrhein-Westfalen. Es gibt einen vierzehntägigen Jour Fixe im Länderkreis, halbjährlich gegenseitige Besuche in den Revieren und nicht zuletzt auch gemeinsame Fördervorhaben. Insbesondere mit dem Freistaat Sachsen ist die Zusammenarbeit sehr eng, da das Mitteldeutsche Braunkohlerevier ja beide Länder umfasst. Gemeinsame Interessen der Länder werden auch gemeinsam kommuniziert, z.B. gegenüber dem Bund oder der EU. Zudem pflegen wir einen engen Austausch mit den beteiligten Ministerien im Land, der für einen erfolgreichen Transformationsprozess von immenser Wichtigkeit ist. Die Stabsstelle Strukturwandel in der Staatskanzlei hat vor allem eine koordinierende Funktion. Die Fachexpertise zu einzelnen Themen liegt jedoch in den Ressorts.

mdw: Der Strukturwandel kostet viel Geld. Wie wird sichergestellt, dass das Geld auch dort ankommt, wo es gebraucht wird? Was wird öffentlich finanziert? Können Sie Beispiele nennen?

Jürgen Ude: Das Strukturentwicklungsprogramm für das Mitteldeutsche Revier in Sachsen-Anhalt beschreibt die übergeordnete Strategie, in die sich alle Fördermaßnahmen des Reviers, sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene einordnen lassen. Gemeinden, Gemeindeverbände sowie sonstige Träger öffentlicher und kommunaler Aufgaben können Förderanträge jeweils im Rahmen der Regelförderung oder im Rahmen von Förderaufrufen einreichen. Für den überwiegenden Teil der Förderbereiche bestehen landesseitig etablierte Verfahren und Institutionen für die Förderberatung, Antragsprüfung und -bewilligung zur Verfügung. Für den Einsatz der Finanzhilfen des Bundes gibt es zentrale Antragsberatungen sowie das zentrale Finanz-Reporting durch die Investitionsbank Sachsen-Anhalt.
In den vergangenen zwei Jahren haben die fünf in Sachsen-Anhalt betroffenen Gebietskörper-schaften Burgenlandkreis, Saalekreis, Landkreis Mansfeld-Südharz, Landkreis Anhalt-Bitterfeld und die Stadt Halle (Saale) intensiv Projekte entwickelt und diese vorangetrieben. Aufgrund der unterschiedlichen Betroffenheiten und Planungsstände in den einzelnen Gebietskörperschaften wurde Anfang Oktober ein festes Budget pro Gebietskörperschaft vereinbart. Gemeinsames Ziel dabei ist, die Mittel regional ausgewogen zu verteilen und gleichzeitig ausreichend Zeit und Planungssicherheit für die Entwicklung weiterer, strukturwirksamer Projekte einzuräumen.
Ein Beispiel der jüngeren Vergangenheit ist das H2Hub-Netzwerk für digitale Wasserstoff-Technologien. Das Projekt zur Erforschung, Entwicklung und dem Umbau zu einer grünen Wasserstoffwirtschaft wird aus dem STARK-Programm des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz gefördert.
Anfang Oktober wurde aus den Mitteln des Strukturstärkungsgesetzes Kohleregionen Mittel für die Entwicklung des Stadtteils Querfurt Nord ausgewiesen, mit deren Hilfe Rahmenbedingungen für Ausbildung, einen attraktiven Wohnort, infrastrukturelle Anbindung und wirtschaftliche Perspektiven für die Region geschaffen werden.
Im Zuge des Strukturwandels soll neben dem Chemiepark in Leuna ein neues, etwa 200 Hektar Ansiedlungsfläche umfassendes Industriegebiet für die chemische Industrie auf einer Fläche westlich des bestehenden Industriegeländes entstehen. Dieses Vorhaben ist wesentlicher Bestandteil eines übergeordneten Gesamtkonzepts zur Stärkung des gesamten Forschungs- und Entwicklungsprozesses in den Bereichen der Bioökonomie und -chemie von der Grundlagenforschung über industrielle Anwendung bis hin zu Unternehmensansiedlungen.

mdw: Wie wollen Sie vor allem mit den Arbeitskräften umgehen, die heute noch in der Kohle tätig sind? Welche Maßnahmen und Qualifizierungen und auch Ausbildungen finden statt, um Menschen umzuschulen, junge Leute zum Bleiben in den Regionen zu animieren, Menschen in die Region zu holen und überhaupt Arbeitsplätze zu schaffen und zu sichern?

Jürgen Ude: Wer in einer Region langfristig gesicherte und gute Arbeit hat, entwickelt Bleibeperspektiven. Unter guter Arbeit verstehen wir: ansprechende Bezahlung, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und Möglichkeiten der persönlichen Weiterentwicklung und -qualifizierung. Die Fachkräfteentwicklung wird durch Bildung, Qualifizierung, Aus- und Weiterbildung gesichert – die gesellschaftliche Akzeptanz und Begeisterung für relevante Technologien schaffen die Basis für zukünftige hochwertige Industriearbeitsplätze.
Wir wollen daher, durch die Nutzung sämtlicher Fachkräftepotentiale eine langfristige Fachkräfteentwicklung entlang unsere Leitmärkte anstreben und durch hochwertige und durchlässige Möglichkeiten die Aus- und Weiterbildung sichern. Zudem spielen die praxisnahe Vermittlung attraktiver beruflicher Perspektiven, mit einem besonderen Fokus auf junge Frauen im MINT-Bereich sowie eine beteiligungsorientierte Gestaltung menschengerechter und zukunftsfähiger Arbeitsbedingungen eine wichtige Rolle. Der vorher genannte H2 Competence Hub ist ein gutes Projektbeispiel: Hier sollen Fachkräfte im zukunftsträchtigen Bereich der Wasserstoffwirtschaft aus- und weitergebildet werden. Dies können auch ehemalige Bergleute sein.

Das Gespräch führte mdw-Chefredakteur André Wannewitz


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