Hauptanteilseigner des mdw-Verlages verstorben
Von Verleger und Chefredakteur André Wannewitz
Das Johanniter Krankenhaus in Stendal kannte meinen Befehl: Per notarieller Generalvollmacht habe ich, lange bevor der Hauptanteilseigner der mdw Mitteldeutscher Wirtschaftsverlag GmbH, Helmut Wannewitz, mein Vater, starb, verfügt, im Falle der Fälle alles Notwendige zu tun und nichts zu unterlassen, um sein Leben zu retten – und zwar unter Einsatz von sämtlichen medizinischen und technischen Fähigkeiten und Werkzeugen. Als in dieser Klinik Ende Oktober 2021 seine Leblosigkeit festgestellt wurde, bin ich von einem ausländischen Arzt kurze Zeit später über den Tod meines Vaters telefonisch unterrichtet worden. Die für die Angehörigen und Hinterbliebenen wichtige und entscheidende Frage, ob Wiederbelebungsmaßnahmen eingeleitet wurden oder nicht, ist eine von vielen, die bis heute offen geblieben sind.
elmut Wannewitz wurde am 14. Mai 1934 in Groß Simnau in Ostpreußen geboren. Die meisten Bewohner Ostpreußens, darunter auch seine Familie, wurden zwischen 1945 und 1947 aus ihrer Heimat in das besetzte Deutschland westlich der Oder-Neiße-Linie vertrieben. Sein eigener Vater Bernhard blieb dabei im Zweiten Weltkrieg und gilt bis heute als vermisst. Mit seinen vier Geschwistern und seiner Mutter Lina kam Helmut Wannewitz in das Dorf Grobleben bei Tangermünde im heutigen Sachsen-Anhalt, später nach Stendal. Wannewitz erlernte einen handwerklichen Beruf, studierte dann Pädagogik in den Fächern der Polytechnik in Leipzig und war danach ab 1958 fast vierzig Jahre im Schuldienst der DDR und in der Deutschen Einheit tätig.
Im Jahr 2002 – Helmut Wannewitz hatte das Rentenalter schon längst erreicht – stellte er sich neuen Herausforderungen. Er engagierte sich in der am 29. Mai 2002 als Familienunternehmen gegründeten mdw Mitteldeutscher Wirtschaftsverlag GmbH zusammen mit seiner Frau Ilse als Hauptanteilseigner und übernahm innerhalb der Zeitungsneugründung „mdw“ verantwortliche Führungsaufgaben in den Bereichen Anzeigen und Vertrieb. Im September 2002 wurde die erste Ausgabe produziert – zunächst als mdw Mitteldeutsches Wirtschaftsmagazin.
Da der Aufbau Ost ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag ist, dem sich mdw von Anfang an stellte, sind Auftrag, Struktur und Umfang des mdw 2005 wesentlich erweitert worden. mdw erschien ab Mitte 2005 mit dem Untertitel: Das Deutsche Magazin für den Aufbau Ost. Und es war der 20. Jahrestag der Deutschen Einheit im Jahr 2010, an dem zum Ausdruck kam, dass der Aufbau Ost an einem Wendepunkt steht. Die Wirtschaftsminister gaben damals das Motto für die kommenden Jahre aus, das da hieß, den „Ausbau Ost durch mehr Differenzierung“ zu gestalten. Dieser Entwicklung trägt mdw mit der Umbenennung seit November 2010 in besonderer Weise Rechnung. mdw, Das Magazin der deutschen Wirtschaft für Innovation und Zukunft, profiliert sich seit dem als Business-Magazin im vereinten Deutschland und setzt darüber hinaus internationale Schwerpunkte in der Berichterstattung über Exportschwerpunkte der deutschen Wirtschaft.
Helmut Wannewitz hatte es sich von Anbeginn zur Aufgabe gemacht, persönlich die Vertriebsaktivitäten zu leiten und legte oft selbst Hand an bei den Vertriebsfahrten zwischen Kap Arkona und Fichtelberg. Auch fuhr er oft die Vertriebstouren in die Landtage, in das Berliner Abgeordnetenhaus und zum Deutschen Bundestag. Immer am Puls der Zeit hatte Helmut Wannewitz stets ein offenes Ohr für alles, was mit der Zukunft unserer ostdeutschen Regionen zu tun hat. Für mdw war er auf vielen Terminen der Leipziger Messe dabei. Ihm lag die Automobil International (AMI) besonders am Herzen. Wannewitz besuchte Veranstaltungen von Vattenfall in Rostock und den Tagebau Welzow ebenso wie den Überseehafen Rostock und die Störtebecker Festspiele in Ralswiek. Er liebte Themen, die mit Bergbau und Energie zu tun hatten. Und so war er auch unter Tage zu Gast im Markus-Röhling-Stolln in Frohnau, im Erlebnis Bergwerk Merkers und im Bergwerk Sondershausen.
Seine Reiselust lebte Helmut Wannewitz schon als Lehrer aus. Er betreute nebenberuflich zwischen 1958 und 1988 Reisegruppen des DDR-Reisebüros in das In- und Ausland. Dass die DDR-Bürger dabei in den Urlaub nur in eine Richtung fahren konnten, störte ihn nicht. Nach der Wende erkundete er mit seiner Familie die andere Richtung. Seine Liebe zum Auto und sein unbändiges Fernweh verband Helmut Wannewitz mit privaten Urlaubsreisen mit dem Camptourist, dem Wohnwagen Quek Junior, später mit einem Wohnmobil und organisierten Auto-Reisen von Intourist in die Sowjetunion. Dabei ging es gleich mehrfach bis hinunter nach Bulgarien, nach Jalta auf die Halbinsel Krim und – das war im Sommer 1982 unser absoluter Traumurlaub – vier Wochen durch vier Unionsrepubliken über den Großen Kaukasischen Bergring nach Tblissi, Jerewan bis Sotschi und zurück in die DDR. Am Steuer saß immer Helmut Wannewitz, in all den Jahren ohne Unfall und ohne Panne. Nur einmal schwächelte er nach einer langen Fahrt kurz für zwei Stunden im Intourist-Hotel in Stalins Geburtsstadt Gori. Danach war er wieder fit. Dass Helmut Wannewitz bei jeder Reise unvergessliche und einmalige Eindrücke mit nach Hause nahm, eine Unmenge von Leuten kennenlernte und Gastfreundschaft pur erlebte, hat sich tief in sein Inneres eingeprägt. Dass wir 1978 im Familienurlaub auf der Durchreise nach Bulgarien im rumänischen Siebenbürgen im Wohnwagen um ein Haar von Zigeunern überfallen wurden, allerdings auch.
Ende 1994, als Helmut Wannewitz einen schweren Herzinfarkt erlitt, in deren Folge er im Klinikum Braunschweig mehrere Bypässe erhielt, waren es Notarzt Dr. Fred Grothe, Chefarzt Dr. Wilfried Wollenberg und Oberarzt Dr. Herbert Wollmann, die meinen Vater im Stendaler Krankenhaus lange wiederbelebten, ihn intensivmedizinisch umfassend behandelten und betreuten. Wollenberg hatte Helmut Wannewitz schon 1992 sehr erfolgreich an der Bandscheibe operiert. Und Dr. Wollmann, der heutige SPD-Bundestagsabgeordnete im Wahlkreis 66 Altmark, wurde später in eigener Praxis der Hausarzt meines Vaters und blieb es bis zuletzt.
Weil ich selbst im Jahre 2003 in der Klinik für Orthopädie des Stendaler Krankenhauses an der Bandscheibe operiert wurde, deren Folgen mich mein ganzes Leben begleiten, war ich seither auf das Hospital nicht mehr gut zu sprechen. Denn sogar der renommierte deutsche Mediziner Prof. Dr. Herbert Grönemeyer bestätigte nach einer MRT-Untersuchung 2008 in seiner Klinik in Bochum: „Da ist nichts mehr zu machen.“
Bis hinein in die Corona-Zeit 2020/21 fühlte sich Helmut Wannewitz top fit. Er war täglich an seinem Schreibtisch und leistete intensiv Arbeit für den mdw-Verlag. Im April 2021, mit fast 87 Jahren, bekam er größere gesundheitliche Probleme. Er kollabierte am laufenden Band. Ohne Vorwarnung, plötzlich und unerwartet. Am Tag und in der Nacht. Was folgte? Einweisungen in das Johanniter Krankenhaus in Stendal. Immer öfter, immer in kürzeren Abständen. Gefühlte 100 Tage erlebte er im vergangenen Jahr hier in verschiedenen Kliniken Krankenhausatmosphäre. Und ich bekam bei meinen regelmäßigen Besuchen und Gesprächen mit Ärzten, Schwestern und Pflegern vor und hinter den Kulissen mit, was hier abgeht im medizinischen Alltag.
Zunächst danke ich dem Chefarzt der Stendaler Klinik für Kardiologie, Herrn Dr. C. Michael Gross, für die stets intensive Behandlung und fürsorgliche Betreuung meines Vaters. Das war eine klasse Leistung. Chefarzt Gross war es auch, der mir die Bedenken nahm hinsichtlich meiner Erfahrungen von vor bald 19 Jahren. „Wir sind nicht die Orthopädie“, munterte er mich auf. Immer wieder stand Gross, der auch stellvertretender Ärztlicher Direktor des Johanniter Krankenhauses ist, mit Rat und Tat zur Verfügung, scheute aber auch nicht, die gesundheitliche Gesamtlage meines betagten Vaters schonungslos auf den Tisch zu legen.
Dennoch: Bevor mein Vater im Krankenhaus auf Station lag, musste er stets andere Basen durchlaufen. Zum Beispiel durch die Notaufnahme kommen. Es ist nämlich lange nicht gesagt, dass jeder Patient, der mit Blaulicht ins Krankenhaus gebracht, dort auch stationär aufgenommen wird. Diensthabende Ärzte schickten meinen Vater tatsächlich auch schon mal zu spätabendlicher Stunde wieder nach Hause.
Selbst mit dem Notruf ist das so eine Sache. Als ich eines Morgens die 112 wählen musste, kam zwar der Rettungsdienst nach Hause. Weil es Helmut Wannewitz nach erneuter Kollabierung inzwischen aber schon etwas besser ging, haben die Rettungssanitäter der Johanniter Unfallhilfe ihn nicht ins Krankenhaus mitgenommen. Am Mittag des gleichen Tages verschlechterte sich sein Gesundheitszustand. In dem Moment, als die Schnelle Medizinische Hilfe erneut anrückte und mich zuerst belehrte, ich könne wegen Missbrauch des Notrufes verklagt werden, kollabierte mein Vater in deren Armen.
Und am letzten Tag seines Lebens, als eine Notärztin morgens um sechs nach Hause kam, fragte mich die junge Doktorin dann auch noch, warum sie eigentlich gerufen worden sei, nachdem ich meinen Vater sah und das Schlimmste befürchtete.
Viel Hunger hatte mein Vater in den letzten zwei Jahren nicht mehr. Auch die Ärzte bemerkten seine zunehmende Appetitlosigkeit. Eine Woche vor seinem Tod wurde bei ihm eine Ganzkörper-Computertomographie veranlasst, bei der tatsächlich etwas Auffälliges festgestellt wurde. Was die Ärzte in der Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie genau sahen, wurde mir aber nicht mitgeteilt.
Sechs Tage später kehrte Wannewitz nach einer weiteren Kollabierung erneut ins Krankenhaus zurück. Was genau die Ursachen für diese ständigen Attacken waren, brachten die Mediziner mir nicht auf den Punkt.
Ich besuchte meinen Vater an seinem letzten Tag am Nachmittag in der Kardiologie. Er fühlte sich gut, war voll in seinem Element. Um 20.55 Uhr endete dann sein Leben, und Helmut Wannewitz wurde dem Sarg übergeben. Meine Frage, ob etwa zuvor sein Herzschrittmacher abgestellt wurde, damit er friedlich einschlief, verneinte Hausarzt Dr. Herbert Wollmann. „Der Schrittmacher hat in dem Sterbeprozess keine Rolle gespielt. Es ist nichts falsch gemacht worden.“
Helmut Wannewitz war 63 Jahre mit seiner Frau Ilse verheiratet.