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„In der DDR ist es verboten, gegen die SED zu klagen“

Der Führungsanspruch der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands war in der DDR-Verfassung verankert. Gegen die Partei war es verboten, juristisch vorzugehen. Unser Foto zeigt die führenden Repräsentanten Erich Honecker, Willi Stoph und Günter Mittag (v.l.). Foto: mdw/Wannewitz Porträtfoto: Günter Anton, von 1977 bis 1989 Erster Sekretär der SED-Kreisleitung Stendal.

Rechtsanwalt Wolfgang Vogel antwortete 1988 auf Ersuchen von André Wannewitz, ihn gegen Stendals SED-Kreis-Chef zu vertreten

Von André Wannewitz

In den letzten fünf Jahren der DDR war der Erste Sekretär der Kreisleitung der SED Stendal, Günter Anton, mein Erzfeind. Wir beide lieferten uns messerscharfe Duelle. Er drohte mir gar vor versammelter hundertfacher Gedenk-Kulisse an einem Jahrestag der Sowjetarmee: „Wenn du nicht tust, was ich sage, lasse ich einen Korken steigen.“

Ich habe sein Agieren gegen mich jahrelang in mich hineingefressen, doch im Laufe des Jahres 1988 wurde es mir zu viel. Ich wollte mich juristisch gegen diesen Kreisparteichef zur Wehr setzen – und glaubte, in Rechtsanwalt Wolfgang Vogel den bestgeeigneten DDR-Juristen zu finden, der mich bei einer Klage gegen den Ersten Kreissekretär verteidigen kann. Vogel hörte sich an, was ich gegen den lokalen SED-Spitzenfunktionär vorzutragen hatte – und teilte mir sodann schriftlich mit: „In der DDR ist es verboten, gegen die SED zu klagen.“ Da war ich mit meinen damals 25 Jahren erstmal total baff.

Doch was war geschehen, dass mich der alte Genosse so hasste? Seit 1979 war ich Volkskorrespondent, damals einer der jüngsten in der DDR. Natürlich mit dem Berufswunsch, eines Tages Journalist zu werden. 1985, nach meinem Ehrendienst in der Nationalen Volksarmee, übernahm ich im Ehrenamt die Funktion des Leiters der Jugendredaktion bei der Kreisredaktion der SED-Parteizeitung „Volksstimme“ in meiner Heimatstadt Stendal. Für damalige Verhältnisse ein toller Job. Mein rund zehnköpfiges Team, alle jung, alle mit tatkräftigem Elan, alle mit Zukunft im Blick, durften einmal im Monat eine ganze Zeitungsseite gestalten – mit unseren eigenen Artikeln und Fotos. Diese Möglichkeit haben wir auch eifrig genutzt – und genossen. Mit dem Wohlwollen von Günter Anton.

Eines Tages – das war Anfang 1986 – stießen wir im Zuge von journalistischen Recherchen im Kreis Stendal auf fragwürdige Zusammenhänge, auf kriminelles und parteischädliches Verhalten, in die im Zuge späterer Ermittlungen der DDR-Justiz hochrangige Mitarbeiter der FDJ– und der SED-Kreisleitung Stendal verwickelt waren. Doch zu einer Anklage oder gar Verurteilung kam es nie. Unterdessen wurde der Urheber dieser Vorgänge – das war ich selbst – mit Repressalien, die vom Ersten Kreissekretär persönlich angeordnet wurden, abgestraft. Ein Wechsel zur FDJ-Zeitung „Junge Welt“ wurde gestrichen. Später auch ein Volontariat bei der „Volksstimme“ und auch ein weiterer Wechsel zur NVA-Zeitung „Volksarmee“. Unterdessen wurde ich in die Kohle, in das Kraftwerk Lippendorf, „abkommandiert“ und als Schichtarbeiter in der Kohle-Entaschung eingesetzt.
Auf dem Rückflug aus dem Urlaub in der Sow-jetunion fand ich unter den Zeitungen ein kleines Buch: „Statut der KPdSU“. Es handelte sich um das neue Partei-Statut, das unter Generalsekretär Gorbatschow auf Perestroika und Glasnost ausgerichtet war. Ich studierte das KPdSU-Statut sehr gründlich, zog Vergleiche zum SED-Statut und arbeitete fortan präzise den Widerspruch bzw. die Divergenz zwischen KPdSU und  SED, zwischen UdSSR und DDR, heraus und machte dies gegenüber allen Ebenen der SED und der DDR deutlich. Damit zog ich in brutaler Härte den Missfallen von Partei und Staat auf mich.

Am 2. November 1989 trieb ich den Ersten Stendaler SED-Kreissekretär Günter Anton bei einem Bürgerforum im Rathaus im vollen Saal dermaßen in die Enge, dass er sich heftig erregte und mit dem Rettungsdienst ins Stendaler Johanniter Krankenhaus gebracht werden musste. Zwei Tage später meldete die Tageszeitung „Volksstimme“ seinen Rücktritt. Da triumphierte ich.


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