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"Kohle-Kumpel sind an unserem Wohlstand beteiligt"

Aktuelles Gespräch mit Dr. Reiner Haseloff (CDU), Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt

mdw: Herr Ministerpräsident, welche Bedeutung besitzt das mitteldeutsche Revier, besitzt die Braunkohleförderung und -verstromung für Sachsen-Anhalt? Kann die Region einen Ausstieg verkraften, oder gehen hier bald die Lichter aus?

Reiner Haseloff: Man darf nicht vergessen, Kohleförderung und -verstromung haben die Grundlage für den wirtschaftlichen Aufschwung in Deutschland geschaffen. Die Kumpel in den Bergbaurevieren sind also an dem Wohlstand, in dem wir im Gegensatz zu vielen Staaten dieser Welt leben, ganz entscheidend beteiligt. Zudem werden rund 38 Prozent des deutschen Stromes noch immer aus Braun- bzw. Steinkohle gewonnen. Allein im mitteldeutschen Revier sind rund 6 000 Arbeitsplätze von der Braunkohle abhängig. Das Braunkohle-Kraftwerk Schkopau produziert so viel Strom, dass es alle Haushalte in Sachsen-Anhalt damit versorgen könnte. Das sind die Dimensionen, in denen wir uns bewegen. Dennoch wird die Region den Ausstieg meistern und es werden bei uns auch nicht die Lichter ausgehen, denn wir haben schon vorgearbeitet. Sachsen-Anhalt ist ein Vorreiter bei der Nutzung regenerativer Energien. Wir fangen also nicht bei Null an. Zudem führt zur Erreichung der Klimaziele am Kohleausstieg kein Weg vorbei.

mdw: Sehen Sie Parallelen zwischen dem Strukturwandel in den Kohleregionen und dem Umbau der ostdeutschen Wirtschaft nach 1990?

Reiner Haseloff: Man kann, was die Größe der Aufgabe betrifft, hier durchaus Parallelen ziehen. Und so wie wir den Wandel von der Plan- zur sozialen Marktwirtschaft erfolgreich gemeistert haben, wird auch der Strukturwandel in den Kohleregionen zu einem Erfolg werden. Dennoch gibt es auch gravierende Unterschiede: Der Umbau Ost nach 1990 resultierte aus einem Zusammenbruch der sozialistischen Planwirtschaft. Das war für viele Menschen ein sehr schmerzhafter Prozess. Der Strukturwandel in den Kohleregionen ist dagegen eine bewusste Entscheidung für eine sichere und zukunftsträchtige Energieversorgung und Industrielandschaft. Und im Gegensatz zu den Wendejahren stehen nun für den Strukturwandel große finanzielle Hilfen zur Verfügung.

mdw: Wie schätzen Sie die Zusammenarbeit mit dem Bund und mit der Kohlekommission ein? Sind Sie mit dem ausgehandelten Kompromiss zufrieden?

Reiner Haseloff: Sachsen-Anhalt war in die Entscheidungsfindung immer eingebunden. Ich habe die Verhandlungen als sehr pragmatisch und ergebnisorientiert erlebt. Man darf nicht vergessen, dass hier sehr unterschiedliche Interessengruppen mit teilweise stark divergierenden Vorstellungen am Tisch saßen. Auch der Bund hat auf unsere Wünsche und Befindlichkeiten als Kohleland sehr kooperativ reagiert. Von daher bin ich mit der gefundenen Lösung zufrieden. Das Wichtigste aber ist: Wenn die Gesetzesgrundlage steht, haben wir für knapp 20 Jahre Planungssicherheit und einen verlässlichen Finanzrahmen.

mdw: Was kann Sachsen-Anhalt, was kann das mitteldeutsche Revier an Hilfen erwarten?

Reiner Haseloff: Zunächst wurden uns im Rahmen des Sofortprogramms kurzfristig Mittel zu Verfügung gestellt. Das Programm ermöglicht Maßnahmen, die in den Revieren schnell und ohne die Neuauflage von Programmen oder Gesetzesänderungen realisiert werden können. Hier hat Sachsen-Anhalt bereits im April 2019 Vorhaben an den Bund gemeldet. Aus diesem Topf stehen für die ostdeutschen Reviere insgesamt 150 Millionen Euro zur Verfügung. Die Vorhaben können bis zum Jahr 2021 realisiert werden. Zum anderen ist da das sogenannte Strukturstärkungsgesetz, das gegenwärtig vorbereitet wird. Aus den daraus bereitgestellten Mitteln können wir den eigentlichen Strukturwandel im Revier gestalten. Dies ist eine langfristige Aufgabe. Auch hier haben wir ebenfalls im April in Abstimmung mit den Akteuren vor Ort erste Leuchtturmprojekte an den Bund gemeldet. Diese Liste ist keinesfalls abgeschlossen. 20 Jahre sind ein langer Zeitraum. So ist es uns wichtig, dass wir flexibel sind und auch künftig neue Vorhaben nachmelden können. Insgesamt stehen uns in Sachsen-Anhalt bis 2038 insgesamt 4,8 Milliarden Euro zur Verfügung. Damit kann man etwas für die Region bewegen.

mdw: Mit den Kohle-Geldern wird u. a. auch der Naumburger Dom saniert. Viele sehen dies als Zweckentfremdung. Können sie den Unmut verstehen? Was bringt dies für die Zukunft des Reviers?

Reiner Haseloff: Die Mittel für den Naumburger Dom stammen aus dem Sofortprogramm und es sind zu 100% Bundesgelder. Mit ihnen können wir wichtige Arbeiten ausführen, die unser neues UNESCO-Welterbe sichern und noch attraktiver machen. Auch das ist eine Investition in die Zukunft der Region. Es wäre töricht, auf diese Gelder zu verzichten und die Arbeiten am Dom als unnötig darzustellen. Wir investieren damit in die Kultur und die touristische Infrastruktur der Region gleichermaßen. Es wird immer von den sogenannten weichen Standortfaktoren geredet. Hier haben wir sie und wir investieren in sie. Da sehe ich nichts, was daran falsch wäre.

mdw: Der Kohleausstieg ist eine Entscheidung der Politik gewesen. Was tut die Politik, um den Ausstieg zu managen, um ihn zu einem Erfolg werden zu lassen? Wie wird der Ausstieg insbesondere von der Landesregierung begleitet? Wie ist die Abstimmung mit den Akteuren vor Ort?

Reiner Haseloff: Dass der Ausstieg kommen wird, steht lange fest. Darum habe ich schon sehr früh gegenüber dem Bund deutlich gemacht, dass der Kohleausstieg nicht zum Nulltarif zu bekommen ist und der Bund – der Ausstieg ist eine politische Entscheidung des Bundes – hier in der Pflicht ist. Wichtig war mir immer, dass der Ausstieg von einem Einstieg begleitet wird. Wo alte Arbeitsplätze wegfallen, müssen neue, zukunftsträchtige entstehen. Trotz mancher Kritik auch hinsichtlich der Höhe der notwendigen Finanzmittel haben wir uns durchgesetzt. Rechnen wir die einzelnen Regionen und Jahresscheiben zusammen, kommen wir ziemlich genau auf die Summe, die ich immer für nötig erachtet hatte.
Neben den finanziellen Aspekten haben wir uns sehr schnell darum gekümmert, auch auf der Ebene der Verwaltungen die entsprechenden Strukturen zu schaffen. So haben wir bereits als Übergangslösung am Beginn des Jahres eine Interministerielle Arbeitsgruppe „Strukturwandel im Mitteldeutschen Revier“ ins Leben gerufen. Ihr gehören auch Kommunal-, Wirtschafts- und Wissenschaftsvertreter an. Nun werden wir weitere Arbeitsstrukturen schaffen in denen alle Beteiligten besonders die Kommunen vertreten sind. In diesen Strukturen werden wir im engen Schulterschluss mit allen Beteiligten die wesentlichen Probleme besprechen und Entscheidungen treffen. So wurde in der Staatskanzlei eine Stabsstelle Strukturwandel gebildet, die das Vorgehen mit allen Beteiligten koordiniert und die Umsetzung der Empfehlungen der Kohlekommission begleitet. Hervorragend ist übrigens, wie man den Strukturwandel auch vor Ort länderübergreifend angeht. Ich denke da an die Innovationsregion Mitteldeutschland. Hier haben sich sieben Landkreise und zwei Städte aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zusammengeschlossen, um den Strukturwandel in der Region voranzubringen.

mdw: Die Entscheidung, aus der Nutzung der Kohle auszusteigen, ist eine Seite der Medaille. Die Schaffung neuer Arbeitsplätze, die Ansiedlung neuer Unternehmen die andere. Glauben Sie, dass bis 2038 genügend neue Arbeitsplätze in der Region entstehen und in welchen Branchen soll dies geschehen?

Reiner Haseloff: Ich bin mir ganz sicher, dass das mitteldeutsche Revier auch 2038 ein Motor der wirtschaftlichen Entwicklung in Ostdeutschland sein wird und wir hier gute, innovative und zukunftssichere Arbeitsplätze haben werden. Auf Ebene der Politik können wir aber immer nur die Rahmenbedingungen schaffen, indem wir z. B. in den Ausbau der Infrastruktur investieren, indem wir den Auf- und Ausbau einer innovativen Forschungslandschaft fördern und auch die Rahmenbedingungen so gestalten, dass eine Region für Investoren und dringend benötigte Fachkräfte gleichermaßen attraktiv wird. Dies werden wir im mitteldeutschen Revier tun und davon zeugt auch die an den Bund übermittelte Projektliste. Wir wollen beispielsweise die vorhandenen Gewerbegebiete stärken und zukunftssicher machen, Modellregionen für 5G entwickeln, an der energetischen und stofflichen Nutzung von Wasserstoff arbeiten und Forschungsinfrastrukturen in Leuna, Merseburg, Halle und Schkopau auf- und ausbauen. Fest steht, die Energiewirtschaft und die Chemie werden auch künftig eine wichtige Rolle im Revier spielen. Positiv ist, dass auch der Bund durch die Ansiedlung von Behörden am Strukturwandel mitwirken will. So wird in den kommenden Jahren im Raum Halle-Leipzig die neue Cyberagentur des Bundes aufgebaut.

mdw: Im Ruhrgebiet läuft seit Jahrzehnten ein Strukturwandel weg von der Kohle. Die Erfolge sind eher bescheiden. Erfolgsgeschichten werden anderswo geschrieben, Süddeutschland hat dem Ruhrgebiet den Rang als wirtschaftliches Herz Deutschlands abgelaufen. Warum sollte vor diesem Hintergrund der Ausstieg in Mitteldeutschland ein Erfolg werden?

Reiner Haseloff: Im Ruhrgebiet wurden eher die Folgen des sukzessiven Ausstiegs aus dem Bergbau sozial abgemildert, aber der notwendige Strukturwandel ganz offensichtlich nicht entschieden genug vorangetrieben. Dies werden wir vermeiden. Und diese Herausforderung wurde auch vom Bund erkannt. Davon zeugt das Sofortprogramm, davon zeugen die vorgelegten Eckpunkte für das „Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen“. Ich gehe davon aus, dass der Bund einen Entwurf für dieses Mantelgesetz kurzfristig vorlegen wird. Es wird unter anderem aus einem Investitionsgesetz Kohleregionen und Änderungen bestehender Gesetze und Verordnungen bestehen. Wir sind also auf einem guten Weg.

mdw: Sehen Sie Gefahren für einen erfolgreichen Strukturwandel im mitteldeutschen Revier und was wollen Sie dagegen unternehmen?

Reiner Haseloff: Natürlich gibt es immer Unwägbarkeiten. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass wir einen guten Fahrplan für den Wandel haben. Wichtig ist jetzt, dass wir uns auch daran halten. So ist es kontraproduktiv, wenn es immer wieder Stimmen gibt, den Kohleausstieg noch weiter vorzuziehen, z. B. bereits in das Jahr 2030. Das ist für mich absolut unrealistisch und wäre auch eine Gefahr für einen erfolgreichen Strukturwandel. Wir brauchen Planungssicherheit, wir brauchen Versorgungssicherheit und wir benötigen zwei Jahrzehnte für die Umsetzung unserer Vorhaben. Wenn wir uns an dieses Zeitfenster halten und die Region innovativ und kreativ aufwerten und weiterentwickeln, wird das mitteldeutsche Revier eine gute Zukunft haben.

mdw: Was sagen Sie jungen Menschen, die heute in den Kohleregionen in die Schule gehen, eine Ausbildung absolvieren, lohnt es, hier zu bleiben? Welche Perspektiven können sie den Menschen im Revier bieten?

Reiner Haseloff: Jungen Menschen steht heute die ganze Welt offen. Das ist eine der großen Errungenschaften der friedlichen Revolution vom Herbst 1989. Sie können im Ausland studieren und arbeiten, gerade innerhalb der EU ist dies eine Selbstverständlichkeit. Gute Perspektiven für junge Menschen wird es in Sachsen-Anhalt und gerade auch in den Regionen des mitteldeutschen Reviers auch künftig geben. Niemand muss fürchten, wegen des Strukturwandels in der Region hier keine Zukunft für sich zu sehen. Im Gegenteil, wenn wir den Wandel erfolgreich gestalten, wovon ich fest überzeugt bin, wird man hier die Chance haben, in innovativen Unternehmen an der Zukunft unseres Landes mitzuarbeiten, ob im Bereich der Digitalisierung, im Bereich neue Energien und grüner Wasserstoff, der Logistik oder der Chemie. Der Süden Sachsen-Anhalts wird auch künftig ein Motor der wirtschaftlichen Entwicklung unseres Landes sein.

Das Gespräch führte mdw-Chefredakteur André Wannewitz

 


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