Liebe Leser,
Einer seiner bayerischen Landsleute jedoch, der 30 Jahre nach dem Fall der Mauer sogar das Amt des Kommissionspräsidenten der Europäischen Union anstrebt und damit Nachfolger von Jean-Claude Juncker werden will, spielt sich auf, als sei er persönlich der liebe Gott und könne die Weltwirtschaft nach seinem Gustus bestimmen. Gott sei Dank, so ist es nicht. Aber eines ist für alle Welt jetzt klar: Ein ehrbarer politischer Verbündeter Ostdeutschlands oder gar Russlands war Weber nie, ist er nicht – und wird der bayerische Landsmann wahrscheinlich nie sein, egal an welcher politischen Schaltstelle der mal sitzen wird.
Mit Weber zurück ins Gestern? Mit seinem Denken und Handeln zurück an die Nahtstelle zwischen Ost und West? Ich frage mich, hat der 46-jährige Weber überhaupt einen blassen Schimmer von der Energiepolitik des 21. Jahrhunderts, geschweige von der historischen Mission der mehr als 45 Jahre andauernden unterbrechungsfreien Lieferbeziehungen von Erdgas aus der früheren Sowjetunion und dem heutigen Russland nach Deutschland? Will Weber davon überhaupt etwas wissen? Vielleicht lebt er heute in den Vorstellungen des ewig Gestrigen und bedient lieber die Interessen, die er von früher kennt. Stellt Nord Stream 2 deshalb in Frage, weil er dem amerikanischen Präsidenten Trump helfen will, das US-Flüssig-Erdgas auf den europäischen Markt zu exportieren. Offiziell fürchtet die US-Regierung eine zu starke Abhängigkeit Europas von russischem Gas. Aber Weber und Trump wissen auch, dass die Chancen der USA größer sind, amerikanisches Fracking-Gas nach Europa zu liefern, wenn Nord Stream 2 beendet wird. Deshalb ist Nord Stream 2 für Weber kein wirtschaftliches Unternehmen, sondern längst ein politisches Projekt geworden. Und der amerikanische Präsident ist so besessen, sogar gegen zwei Firmen, der schweizerischen Allseas und der italienischen Saipem, US-Sanktionen zu verhängen, die mit der Rohrverlegung für Nord Stream 2 befasst sind. Außerdem soll Personen, die beim Bau von Nord Stream 2 eingesetzte Schiffe verkaufen oder vermieten, die Einreise in die USA verwehrt werden. Darüber hinaus werde ihr Vermögen im Land eingefroren.
Nord Stream 2 ist die zweite Ostsee-Pipeline zwischen Russland und Deutschland. Dahinter steht der russische Staatskonzern Gazprom, der die Hälfte der geplanten Gesamtkosten von 9,5 Milliarden Euro stemmen soll. Die andere Hälfte finanzieren fünf europäische Energieunternehmen. Nach Ansicht von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wird die EU-Kommission die Ostsee-Gaspipeline nicht mehr stoppen. „Das Projekt ist weitestgehend genehmigt. Die neue Gasrichtlinie gibt der EU-Kommission mehr Einspruchsmöglichkeiten. Aber sie wird es auch nicht verhindern“, betonte die Kanzlerin jetzt. Bis Ende 2019 ist die Inbetriebnahme der Pipeline geplant, deren Kapazität 55 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr erreichen soll. Die Bundesregierung unter Angela Merkel hat sich stets für das europäische Großprojekt eingesetzt, weil sie ja den Ausstieg aus Atom- und Kohlekraftwerken bis 2038 beschlossen hat.
Wenn Investitionen in Nord Stream 2 in der Europäischen Union rund 31 000 Arbeitsplätze schaffen, wenn Nord Stream 2-Investitionen bislang einen Beitrag zur europäischen Wirtschaftsleistung von mehr als 5 Milliarden Euro leisteten und wenn die europäischen Verbraucher schließlich von niedrigen Gaspreisen profitieren, weil Nord Stream 2 den Wettbewerb stärkt, dann sind das einzigartig gute Argumente, sowohl wirtschaftlich als auch politisch, um das Haus des Vereinigten Europas im 21. Jahrhundert auf der Grundlage bewährter jahrzehntelanger Lieferbeziehungen mit Russland im Energiesektor zuverlässig aufzustellen und zu schützen.
Ich bin überzeugt: Ein Energie-Deal mit Trump für Europa gelingt nicht. Schon allein deshalb, weil der Mehrheit der Menschen das Vertrauen in diesen amerikanischen Präsidenten fehlt.
Ein herzliches Glück auf!