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"Zusammenbruch"

Eine persönliche Betrachtung von mdw-Chefredakteur André Wannewitz

Wer oder was war mit dem Mauerfall, spätestens mit dem Ende der DDR, zusammengebrochen? Die Welt von Egon Krenz zum Beispiel. Die Welt seines Nachfolgers im Range des FDJ-Chefs Eberhard Aurich. Auch die des früheren Pioniervorsitzenden Wilfried Poßner. Und natürlich auch die Welt des langjährigen DDR-Chefredakteurs der FDJ-Zeitung „Junge Welt“, Hans-Dieter Schütt.

Pünktlich zum 30. Jahrestag der Grenzöffnung legte Eberhard Aurich ein bemerkenswert offenes Buch vor, in dem er als bisher erster und einziger früherer Nomenklaturkader der SED und der DDR das System analysierte, sich zu eigenen Fehlern bekannte und – man mag es kaum glauben – mit seinem früheren Chef und Vorgesetzen öffentlich abrechnete, weil dieser ihn zuvor in einem Leserbrief in einer Berliner Kommunisten-Postille verspottete. Der frühere Chef und Vorgesetzte war kein Geringerer als Egon Krenz.

Nun, eigentlich war dieses Buch nicht unabdingbar. Alle, die sich in und mit der DDR auskennen, zu urteilen vermögen und klug sind, darüber hinaus ein gutes Gedächtnis und ein ausgeprägtes Denkvermögen besitzen, wissen, was los war 1989. Jahre davor und danach. Aurich und seine FDJ-Führung waren auf Teufel komm raus der SED und seinem Generalsekretär hörig und zu keinem Zeitpunkt bis zur Wende reformwillig, geschweige reformorientiert. So wurde das bei den Massen wahrgenommen in der ganzen DDR. Was in Hinterzimmern des FDJ-Zentralrates in Berlin besprochen, gemunkelt oder auch nur geflüstert wurde, erfuhr ohnehin kaum einer der rund 2,3 Millionen normalen DDR-FDJler.

Dass da 1989 was am Laufen war in Richtung einer erneuerbaren FDJ, offenbart Aurich in seinem Buch. Und was genau geschah, auch – aber er ging niemals soweit, dass seine eigene Position als Erster Sekretär des Zentralrates der Freien Deutschen Jugend in Konflikt geriet. In den wesentlichsten Fragen übten er und seine Mannen Zurückhaltung und ließen sich gerade nicht auf Gefahren ein, die mit dem öffentlichen Infragestellen alteingesessener Positionen des Arbeiter- und Bauernstaates und seiner führenden Partei zu tun hatten.

Was Aurich in seinem Buch beschrieb, wen er auch zitierte, jedes Datum, jedes Detail, stimmt. Er recherchierte und erinnerte sich akribisch. Man mag, man muss ihm glauben, dass dahinter auch seine feste und unerschütterliche Überzeugung steht. Natürlich bis zur Wende, all die Jahre seines Seins im Sozialismus, lebte und arbeitete Aurich für ihn. Und kassierte dafür, auch das macht er öffentlich, eine Stange Geld. Gehalt, Aufwandsentschädigung an der FDJ-Spitze, seine Mitgliedschaft im DDR-Staatsrat und in der Volkskammer brachten ihm zusammen monatlich DDR-Mark ein, die wirklich jenseits jeder Vorstellung eines normalen DDR-Bürgers war. Dass er als gebürtiger Chemnitzer seit 1981 bis heute in einem Plattenbau in Berlin-Köpenick wohnt, liegt wohl daran, das er dort zufrieden ist mit dem Umfeld und dem Berliner Umland.

Eberhard Aurich sagt über sich selbst, nach der Wende zu neuen Einsichten und anderen Überlegungen gekommen zu sein, als dies für ihn zuvor möglich erschien. Sein Buch ist ein elementarer Beweis für die Richtigkeit dieser These. Aurichs Schrift wird, davon bin ich zutiefst überzeugt, auch deshalb seiner und unserer Nachwelt ein ewiger Zeitzeuge sein, weil sich der vorletzte DDR-FDJ-Chef nicht scheute, die Divergenz zum Ausdruck zu bringen, die sich innerhalb der Partei und der FDJ vor allem 1989 hinter den Kulissen abspielte und auch erst recht nach dem Ende der DDR. Wer sein Buch richtig liest, auch zwischen den Zeilen schlussfolgern kann, wird schnell bemerken, dass durch Aurichs Offenheit zwei Lager innerhalb der FDJ und ihrer Geschichte existieren, die heute wie Feuer und Wasser verfeindet sind. Gemeint ist das ältere Semester der FDJ, das so genannte Krenz-Lager, und die Jüngeren. Aurich schart die Jüngeren um sich, die auch nach der Wende zu neuen Horizonten aufbrachen: Gerd Schulz, Abteilungsleiter Jugend des ZK, ist bis heute Aurichs Freund und mitlerweile seit vielen Jahren Hotelbesitzer auf Usedom. Der frühere Pioniervorsitzende Wilfried Poßner ist nun auch schon Rentner, wohnt mittlerweile im brandenburgischen Lehnin, kümmerte sich nach der Wende um die Berufsbildung junger Leute. JW-Chefredakteur Hans-Dieter Schütt war in der Einheit lange Jahre beim Neuen Deutschland untergekommen. Dass Schütt schon in jungen Jahren ein Genie im Schreiben war, will ich ihm gerne anerkennen. Mehr noch: Für DDR-Verhältnisse war er wohl der beste Agitator und Propagandist, den sich der Jugendverband FDJ nur wünschen konnte. Doch nach der Wende musste sich Schütt wandeln. Das fällt Leuten wie die mit der Begabung vom Schlage Schütt aber nicht schwer.

Eberhard Aurich rechnete in seinem Buch mit den Verhältnissen am Ende der DDR ab. Mit Egon Krenz. Auch mit Margot Honecker, auch mit ihrem Ehemann. Mit dem Sozialismus insgesamt. Er ist der Meinung, die jetzige Gesellschaftsordnung sei noch nicht das Ende der Geschichte. Die Entwicklung sei offen nach vorn. Sozialismus werde es aber nicht wieder sein. Aurich ist heute 73 und lebt als Rentner in Berlin.


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