„Unser Ziel: Gleichwertige Lebensverhältnisse in Ost und West“
mdw: Frau Bundeskanzlerin: „mdw", Das Magazin für Innovation und Zukunft, wird 15 Jahre alt. 2002 in der Regionalität Mitteldeutschlands gestartet, hat es den Aufbau Ost von Anfang an als gesamtgesellschaftlichen Auftrag gesehen. Seit 2010 profiliert sich die Zeitschrift als Business-Magazin im vereinten Deutschland. mdw möchte publizistisch mit allem Selbstbewusstsein den Menschen zeigen, dass die Zukunft des vereinten Deutschlands in Europa liegt. Wie viel Aufbau Ost ist bald 27 Jahre nach der deutschen Einheit noch nötig, um annähernd gleiche Arbeits- und Lebensbedingungen im einst geteilten Deutschland zu schaffen?
Dr. Angela Merkel: Wenn wir uns die bisherige Bilanz der Deutschen Einheit ansehen, stellen wir fest, dass der Aufbau Ost insgesamt gelungen ist: Neben der guten Entwicklung der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes ist auch die Haushaltskonsolidierung weiter vorangeschritten. Die Verkehrsinfrastruktur ist grundlegend erneuert, die Wohnsituation hat sich spürbar verbessert, und viele Innenstädte sind saniert.
Dennoch – obgleich sich das reale Bruttoinlandsprodukt seit 1991 mehr als verdoppelt hat – liegt die Wirtschaftskraft je Einwohner in den neuen Ländern erst bei 73 Prozent des Westniveaus.
Deshalb habe ich beim Treffen mit den Ministerpräsidenten der neuen Länder Anfang April gesagt, dass es von Seiten der Bundesregierung ein grundsätzliches Ja zur Verlängerung, Erweiterung und Weiterführung von ganz spezifischen strukturellen Hilfen für die neuen Länder gibt.
So haben wir beispielsweise das neue Innovationsprogramm „WIR! – Wandel durch Innovation in der Region" vorgestellt. Mit dem Programm wollen wir in strukturschwachen Regionen vor allem die Zusammenarbeit von Hochschulen und Forschungseinrichtungen mit kleinen und mittleren Unternehmen fördern. Bis 2019 stehen dann 150 Millionen Euro speziell für die ostdeutschen Länder bereit. Spätestens 2020, nach dem Auslaufen des Solidarpakts II, sollen auch strukturschwache Regionen in Westdeutschland in das Programm einbezogen werden.
Wir haben heute schon viele Förderprogramme so ausgelegt, dass sie insgesamt für alle strukturschwachen Regionen in Deutschland gelten, wie zum Beispiel die Förderung der ländlichen Räume, an dem die neuen Länder einen überproportionalen Anteil haben. Unser Ziel sind und bleiben gleichwertige Lebensverhältnisse in Ost und West.
mdw: Oder anders gefragt: Jene DDR-Bürger, die 1989 als Aktivisten der Wende für die deutsche Einheit auf die Straße gingen, stehen jetzt zumeist im Rentenalter. Warum dauert die vollständige Rentenangleichung so lange?
Angela Merkel: Die Renten werden im Osten zum 1. Juli erheblich stärker als im Westen erhöht: um 3,59 Prozent. Der aktuelle Rentenwert Ost liegt dann bei 95,7 Prozent des Westwerts. Die völlige Angleichung haben wir noch nicht erreicht, weil die Renten den Löhnen folgen und sich die Löhne im Osten bisher nicht vollständig den Westlöhnen angeglichen haben.
Um die Rentenangleichung zu beschleunigen, gleichen wir die Renten jetzt unabhängig von der weiteren Lohnentwicklung schrittweise bis zum 1. Juli 2024 auf 100 Prozent des Westwerts an.
mdw: Die CDU ist die Partei der deutschen Einheit. Wenn die Union im Herbst die Bundestagswahl gewinnen sollte, haben Sie die Chance, bald so lange Regierungschefin zu sein, wie es Helmut Kohl als Kanzler der Einheit war. Mit dem Unterschied, dass die Welt heute völlig anders ist als noch 1998. Mit welchen globalen, internationalen und nationalen Themen setzen Sie in diesem Bundestagswahlkampf für sich und die Union auf Sieg?
Angela Merkel: Die Menschen spüren, dass sich durch Globalisierung und Digitalisierung vieles verändert, dass es international bewegte Zeiten sind. Und deshalb suchen sie Orientierung, Sicherheit und Verlässlichkeit. Wir wollen ihnen mit unserem Regierungsprogramm ein überzeugendes Angebot dafür machen. Deutschland steht gut da: Wir haben seit 2005 die Arbeitslosigkeit halbiert; wir nehmen das vierte Jahr in Folge keine neuen Schulden auf, Löhne und Renten steigen. Gleichzeitig haben wir die Pflege gestärkt, die Polizei besser ausgestattet, für eine gerechtere Behandlung von Müttern in der Rente gesorgt und deutlich mehr in Verkehr, Bildung und schnelles Internet investiert. Auf dieser guten Bilanz wollen wir aufbauen. Wir brauchen weiter eine starke und innovative Wirtschaft mit sicheren Arbeitsplätzen, weil das die beste Grundlage für soziale Sicherheit auch in der Zukunft ist. Wir wollen diejenigen entlasten, die jeden Tag hart arbeiten und vielleicht noch Überstunden machen. Wir müssen die Chancen der Digitalisierung noch besser nutzen – gerade auch für die ländlichen Räume, damit sie lebenswert bleiben. Und schließlich wollen wir mehr für junge Familien tun, damit sie sich den Traum von den eigenen vier Wänden verwirklichen können, wenn sie dies möchten, und jedes Kind – egal, wo es aufwächst – alle Chancen hat.
mdw: Die Landtagswahlen im Saarland und in Schleswig-Holstein haben gezeigt, dass die CDU – entgegen den Vorhersagen – auch in den heutigen schwierigen Zeiten siegen kann. Trotzdem die SPD als Ihr politischer Partner in der Großen Koalition im Bund zuvor das Pferd wechselte und auf den Schulz-Schub hoffte. Wer bei der Bundestagswahl 2017 CDU wählt, will, dass Sie, Frau Merkel, für weitere vier Jahre Bundeskanzlerin bleiben. Geben Sie Ihren Wählern dafür die volle Garantie?
Angela Merkel:Ich möchte meinen Beitrag dazu leisten, dass Deutschland auf einem erfolgreichen Weg bleibt, und das gilt, wenn es die Gesundheit zulässt, selbstverständlich für die vier Jahre der ganzen Legislaturperiode. Dieser Wahlkampf ist anders als frühere. Es gibt Anfechtungen von ganz rechts und ganz links. Ich freue mich aber auf den fairen Wettstreit darüber, wer das beste Angebot für eine gute Zukunft hat. Und ich bin überzeugt, dass das die Union ist. Wir werden für unsere Ideen werben – in den sozialen und klassischen Medien genauso wie auf den Marktplätzen und an den Haustüren. Wir werden deutlich machen: Die CDU beschäftigt sich mit den Fragen der Zukunft für Deutschland 2025, andere hadern immer noch mit Beschlüssen der Agenda 2010 von vor 14 Jahren.
mdw: Das mdw-Magazin setzt in der Berichterstattung ganz bewusst auch internationale Schwerpunkte, beispielsweise zum Export der deutschen Wirtschaft nach Osteuropa und Asien. Sie haben als deutsche Kanzlerin derzeit die G20-Präsidentschaft inne.Welche zentralen Themen setzen Sie dabei zur Stabilität der Weltwirtschaft?
Angela Merkel: Wir halten Strukturreformen und die Stärkung der Volkswirtschaften für entscheidend wichtig, um die Weltwirtschaft insgesamt zu stärken. Die deutsche G20-Präsidentschaft intensiviert die Zusammenarbeit in internationalen Finanz- und Steuerfragen und hat die Themen Beschäftigung, Handel, Gesundheit und Klima auf die Agenda gesetzt. Das Ziel lautet, offene Märkte und grenzüberschreitenden Handel weltweit zu stärken und globale Risiken für eine stabile Weltwirtschaft – etwa bedingt durch den Klimawandel oder Pande-mieausbrüche – zu verringern. Leider müssen wir aber auch mit ansehen, dass die Menschen weltweit unterschiedlich an positiven Entwicklungen teilhaben. Deshalb will die Bundesregierung in ihrer Präsidentschaft sog. inklusives und nachhaltiges Wachstum fördern. Die G20-Partnerschaft mit Afrika soll dazu beitragen, private Investitionen in Afrika zu fördern und hat bereits großen Anklang gefunden.
mdw: Und wie kann die deutsche Präsidentschaft dazu beitragen, dass in absehbarer Zeit die internationalen Wirtschaftssanktionen gegen Russland beendet werden?
Angela Merkel:Wegen der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und der Destabilisierung der Ostukraine hat die Europäische Union stufenweise Sanktionen gegen Russland erlassen. Die Bundesregierung und ich persönlich haben zugleich immer wieder deutlich gemacht, dass wir uns aktiv und mit Nachdruck dafür einsetzen, den Konflikt im Dialog zu überwinden. Die Geltungsdauer der Wirtschaftsmaßnahmen ist mit der Umsetzung der Minsker Vereinbarung verbunden. Die Bundesregierung unterstützt den fortgesetzten Dialog über die aus dem Minsker Maßnahmenpaket resultierenden Verpflichtungen sehr intensiv.
Mit der Bundeskanzlerin sprach mdw-Chefredakteur André Wannewitz