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Deutschland ein Partner Georgiens auf Weg zum Rechtsstaat

Lado Chanturia (l.) empfing die mdw-Redakteure André Wannewitz (Mitte) und Dr. Hans Jörg Schrötter zum Interview in seinem Arbeitszimmer der Georgischen Botschaft in Berlin. Foto: Nino Burdiladze

Aktuelles Gespräch mit Prof. Dr. Dr. Lado Chanturia, Botschafter von Georgien in Deutschland

mdw: Herr Botschafter, 2017 war für die georgisch-deutschen Beziehungen ein besonderes Jahr. Wie fällt Ihre Bilanz dieses Jahres aus?

Lado Chanturia: Das Jahr 2017 ist ein außerordentliches Jahr: wir feiern das deutsch-georgische Jahr. Es gibt zahlreiche erfreuliche Anlässe zu gemeinsamen Feierlichkeiten: 25 Jahre der Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und Georgien und 200 Jahre der Entstehung der deutschen Siedlungen in Georgien.

Am 26. April 2017 eröffneten die Außenminister Georgiens und Deutschlands das Deutsch-Georgische Jahr im Weltsaal des Auswärtigen Amtes und sprachen sich für eine engere Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern aus. Im Rahmen des Jubiläumsjahres finden in beiden Ländern über 130 Veranstaltungen statt, die die enge politische und kulturelle Bindung unserer Staaten hervorheben.

Es könnte dem breiten Publikum nicht bekannt sein, dass am 26. Mai 1918, als die Nationalversammlung Georgiens die Unabhängigkeit des Landes erklärte, Deutschland direkt im Anschluss am 28. Mai als erster Staat die Demokratische Republik Georgien anerkannte. Auch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion war Deutschland das erste Land, das die wiedererlangte Unabhängigkeit Georgiens erneut anerkannte und kurz danach eine diplomatische Vertretung in Tiflis eröffnete.

Darüber hinaus feiern wir das 200-jährige Jubiläum der Gründung der ersten deutschen Siedlungen in Georgien im frühen 19. Jahrhundert. Die Zuwanderung von Deutschen nach Georgien begann im Jahre 1817. Im Rahmen des Deutsch-Georgischen Jahres ist ein umfangreiches kulturelles Programm zusammengestellt, und zahlreiche Veranstaltungen sind bereits erfolgreich durchgeführt worden. Viele Ausstellungen, Buchpräsentationen, Lesungen, Theateraufführungen, Tage des georgischen Kinos stellen eine inkomplette Liste der Aktivitäten dar, die im Laufe des ganzen Jahres geplant sind.

Nennenswert sind die hochrangigen gegenseitigen politischen Besuche zwischen beiden Ländern. Der georgische Premierminister Giorgi Kvirikashvili besuchte die Bundeskanzlerin direkt nach der diesjährigen Bundestagswahl.

mdw: Das deutsch-georgische Jahr sollte an die traditionellen Bindungen Ihres Landes zum westlichen Europa und speziell zu Deutschland anknüpfen. Würden Sie uns einige nennen?

Lado Chanturia: Die Beziehungen zum Westen wurden insbesondere nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion intensiviert, als die Ära der politischen Isolation vorbei war. Der junge Staat hat sich neu orientiert und leitete zahlreiche Systemreformen ein. Deutschland spielte in den letzten 25 Jahren eine signifikante Rolle bei der Umwandlung Georgiens in einen modernen europäischen Rechtsstaat. Das Land erfuhr wirtschaftliche und technische sowie finanzielle Unterstützung von Deutschland.

Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Georgien haben nach der Unterzeichnung des Assozierungs- und Freihandelsabkommens mit der EU im Jahre 2014 ein neues Niveau erreicht. Ein weiterer wichtiger Aspekt der deutsch-georgischen Zusammenarbeit ist die im März 2017 in Kraft getretene visafreie Einreise in die EU für georgische Staatsbürger. Das wäre ohne deutsche Unterstützung undenkbar gewesen. Vom visafreien Regime haben bereits etwa 160 000 Georgier profitiert. Am 26. Oktober fasste der Botschafter der EU in Georgien Janos Hermann den Halbjahreszeitraum der Einführung der Visafreiheit als einen großen Erfolg zusammen.

 mdw: Wie genau wird in Ihrem Land beobachtet, wie sich die neuen deutschen Bundesländer entwickeln, die ja ebenfalls nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und dem Ende der sowjetischen Herrschaft einen grundlegenden Neuanfang organisieren mussten?

Lado Chanturia: In Georgien werden die Ereignisse in der Bundesrepublik mit großem Interesse verfolgt. Wir nehmen keine Unterscheidung zwischen den alten und neuen Bundesländern vor. Der Neuanfang, der nach der Wende anstand, war zweifellos äußerst anspruchsvoll und stellte gewaltige Herausforderung nicht nur für die neuen Bundesländer dar. Der Umstieg auf das neue System und die volle Integration dieser zuvor voneinander unabhängigen Länder sind aber geglückt. Der Vergleich mit Georgien lässt sich nicht einfach gestalten, denn unser Land hatte keinen verlässlichen „großen und reichen Bruder", auf dessen Ressourcen und Unterstützung es hätte zurückgreifen können. Das Land müsste sich den neuen Schwierigkeiten alleine stellen.

 
mdw: Können wir aus der friedlichen Überwindung der jahrzehntelangen deutschen Teilung im Einvernehmen mit allen Nachbarn in Ost und West vielleicht etwas lernen für das Gelingen einer territorialen Wiederherstellung Georgiens? Anders gefragt: Kann es ein Ende der Konfliktsituation in Südossetien und Abchasien geben, ohne dass man den Dialog mit Russland sucht?

 Lado Chanturia: Die friedliche Beilegung der Konflikte, die auf dem georgischen Gebiet in sog. Südossetien und Abchasien bereits seit den 90er Jahren schwelen, sieht die georgische Regierung als die einzige Lösungsalternative. Daher ist jedes historische Beispiel, das die gewaltfreie Lösung einer Auseinandersetzung einleitet, sehr willkommen und lehrreich. Allerdings entsteht jeder Konflikt in einem anderen geopolitischen Umfeld, und es sind unterschiedliche Interessen im Spiel, die dessen Handhabung erschweren. Es ist wünschenswert, die friedliche Beilegung des Konflikts zu erzielen. Russland ist der unmittelbare nördliche Nachbar Georgiens. Es unterstützt die abtrünnigen Regionen offen und ohne Zurückhaltung. Direkt nach dem 5-Tage-Krieg im Jahre 2008 hat Russland die Unabhängigkeit dieser separatistischen Gebiete anerkannt und versucht seitdem enge Beziehungen mit diesen zu unterhalten. Es wurden eine Reihe von sog. Kooperations- und Integrationsabkommen mit Südossetien und Abchasien abgeschlossen, die die Zusammenarbeit dieser mit der Russischen Föderation ermöglichen und anschließend den Weg zur Integration dieser Regionen in die Russische Föderation ebnen sollen. Diese Abkommen können keine völkerrechtliche Gültigkeit beanspruchen. Allerdings ändert dies nichts an der Tatsache, dass Russland mit seinem Vorgehen wiederholt die territoriale Integrität und staatliche Souveränität Georgiens verletzt. Darüber hinaus sind in Südossetien und Abchasien russische Truppen stationiert, und die georgische Regierung stuft diese Gebiete als okkupierte Territorien ab.

mdw: Wie eng sind die wirtschaftlichen, kulturellen, militärischen und politischen Verbindungen zwischen Georgien und Russland heute noch?

Lado Chanturia: Trotz der reservierten Beziehungen zwischen Russland und Georgien bemüht sich die georgische Regierung, pragmatisch vorzugehen. Diesbezüglich wurde ein informeller Dialog zwischen dem Sonderbeauftragten des georgischen Premierministers und dem stellvertretenden Außenminister der Russischen Föderation zwecks Regelung der Fragen der wirtschaftlichen und kulturellen Kooperation eingeleitet. Auch wenn die Beziehungen mit Russland in kulturellen und wirtschaftlichen Bereichen noch unterhalten werden, sind die militärischen und politischen Verbindungen auf Eis gelegt. Nichtsdestotrotz ist Russland Georgiens führender Partner im Außenhandel.

mdw: Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen den Problemen mit Ihrem Nachbarn Russland und der Annäherung Georgiens an das westliche Europa – genauer: an die EU?

Lado Chanturia: Nach der Wiedererlangung der Unabhängigkeit als unmittelbare Folge des Zerfalls der Sowjetunion hat unser Land die westliche Ausrichtung gewählt und verfolgt fest entschlossen diesen Kurs. Georgien will sich als ein freier, demokratischer Rechtsstaat etablieren und bezweckt, durch tiefgreifende Reformen in vielen Bereichen hohe Standards im Lande zu erreichen. Dabei fühlt sich Georgien von den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union unterstützt. Oft wird unser Land in der Region als Vorreiter aufgrund der bereits durchgeführten zahlreichen Reformen bezeichnet. Wir würden gern diese Linie weiterverfolgen. Russland muss einsehen, dass die westliche Ausrichtung georgischer Außenpolitik keine Gefahr für Russland darstellt. Wir streben gute nachbarschaftliche Beziehungen mit allen unseren Anrainerstaaten an. Das Prinzip der guten nachbarschaftlichen Beziehungen kann aber in Bezug auf Russland nicht erfüllt werden, solange die Russische Föderation 20 Prozent des georgischen Territoriums unter Besatzung hält.

mdw: Könnte es den Annäherungsprozess der ganzen Region erleichtern, wenn sich die EU parallel hierzu intensiver mit Russland abstimmen würde?

Lado Chanturia: Alle Länder der Region stellen unabhängige Staaten dar, die ihre jeweilige Außen- und Innenpolitik selbstständig bestimmen können. Die Kooperation zwischen dem jeweiligen Staat und der EU soll lediglich auf dem Willen von teilnehmenden Parteien beruhen. Partnerschaftliche Beziehungen erst über den Weg der Abstimmung mit einem Drittstaat zu etablieren, würde die Freiheit einzelner Staaten enorm einschränken und wäre auch völkerrechtlich nicht tragbar.

mdw: Welche Aussichten hat Georgiens Bestreben, ein Mitglied der NATO zu werden?

Lado Chanturia: Die georgische Sicherheitspolitik bezweckt die Sicherheit zu gewährleisten und die Stabilität zu wahren. Seit Anfang der 90er Jahre verfolgt die georgische Regierung das Ziel, sich an den euro-atlantischen Raum anzunähern. Die Kooperation mit der NATO begann bereits 1992, als Georgien Mitglied bei dem Nordatlantischen Kooperationsrat wurde. Von Jahr zu Jahr intensivierte sich die Zusammenarbeit. Heutzutage entwickelt sich die Zusammenarbeit im Rahmen des „Substantial Package".

Georgien hat mit seinen Kooperationspartnern vieles für die internationale Sicherheit geleistet. Georgien hat viele Auflagen erfüllt, die zwecks Verbesserung der Interkompatibilität der georgischen Truppen mit denen der NATO-Staaten erfordelich waren.

mdw: Die EU versteht sich in ihrem Kern als ein Friedensprojekt, das sicherlich zum Fall des eisernen Vorhangs beigetragen hat. Ist eine dauerhafte Befriedung unseres Kontinents ohne eine partnerschaftliche Einbindung Russlands vorstellbar?

Lado Chanturia: Die Europäische Union verfolgt ohnehin die Politik mit partnerschaftlichem Ansatz gegenüber Russland. Die EU ist wohl ein Friedensprojekt, das sich für den Frieden nicht nur auf seinem Gebiet einsetzt, sondern sich bemüht, ihn über seine Grenzen hinaus zu bringen. Russland ist das Land, dem gegenüber Rücksicht geboten ist. Zudem sollte die Politik des 21. Jahrhunderts die militärische Konfrontation meiden. Darüber hinaus gibt es solche engen wirtschaftlichen oder politischen Verflechtungen mit Russland, dass weiteres Vorgehen ohne partnerschaftliche Einbindung von diesem kaum vorstellbar erscheint. Allerdings darf die Etablierung der demokratischen Werte, für deren Durchsetzung und Verbreitung die EU steht und wofür sie für die Staaten der Nachbarschaftspolitik der Hauptpartner ist, nicht unter aktiver Einbindung Russlands leiden.

mdw: Welches sind aus georgischer Sicht die entscheidenden Vorteile einer Vollmitgliedschaft Georgiens in der EU?

Lado Chanturia: Die Europäisierung des Landes wird von 88 Prozent der georgischen Bevölkerung unterstützt. Das ist doch eine klare Bestätigung der Richtigkeit des Kurses der georgischen Außenpolitik. Die Bürger unterstützen die Absicht der georgischen Regierung, ein vollwertiges Mitglied der EU zu werden. Die Mitgliedschaft der EU führt die Gewissheit herbei, Teil eines Raumes der Sicherheit, Demokratie, des wirtschaftlichen Aufschwungs, der gleichwertigen Partnerschaft zu sein und vergrößert die Chancen, im Lande die Menschenrechtsstandards zu erhöhen und Georgien als einen Rechtsstaat zu etablieren.

mdw: Wann sehen Sie Georgien in der EU?

Lado Chanturia: Zu rechter Zeit.

 
Mit Prof. Lado Chanturia sprachen Dr. Hans Jörg Schrötter und mdw-Chefredakteur André Wannewitz

Foto: Lado Chanturia (l.) empfing die mdw-Redakteure André Wannewitz (Mitte) und Dr. Hans Jörg Schrötter zum Interview in seinem Arbeitszimmer der Georgischen Botschaft in Berlin.                    
Foto: Nino Burdiladze


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