DDR-Chef vertraute sein Leben Bernd Brückner an
Bernd Brückner hat von der Entmachtung Erich Honeckers durch das Politbüro bereits vorher gewusst. Er erfuhr das von Honeckers Physiotherapeutin am Abend vor dem 18. Oktober 1989.
Durch den Mauerfall vor 25 Jahren verlor Bernd Brückner seinen Job. Heute ist er Inhaber einer privaten Aus- und Weiterbildungsschule, die Menschen in Arbeit bringen will, die weltweit Sicherheitskräfte ausbildet, die sich in den letzten Jahren schwerpunktmäßig der Ausbildung von Altenpflegern widmet und sogar Fachkräfte, speziell für die Altenpflege, aus Vietnam für Deutschland gewinnt. Seine Firmenzentrale ist ein Plattenbau in Berlin-Marzahn. Er beschäftigt 30 Angestellte, betreibt mehrere Niederlassungen in Deutschland und auch in Vietnam.
Über sein berufliches Leben davor öffnete Brückner erst vor einigen Wochen tiefe Einblicke. Er schrieb ein Buch, im Eulenspiegel Verlag erschienen, in dem er von seiner Zeit als Leibwächter erzählt. 13 Jahre lang, von 1976 bis Oktober 1989, war der heute 65-Jährige Personenschützer des Partei- und Staatsoberhauptes der DDR, zuletzt Kommandoleiter im Personenschutzkommando Honecker. Den westlichen Begriff „Bodyguard“ mag Bernd Brückner nicht, weil er eben keiner war. „Der Unterschied ist: Ein Bodyguard sichert Sternchen aus dem Showbusiness und im Sport. Personenschützer sichern Politiker und die Spitzen der Wirtschaft.“
Bernd Brückner war immer dort, wo auch Erich Honecker war. Sozusagen immer im Schatten des ersten Mannes der DDR. Brückner begleitete Honecker bei Besuchen in 40 Staaten und auch zur Jagd in der Schorfheide. Er war dabei, wenn Honecker in der Republik war, die Leipziger Messe besuchte, Partei- und Staatsführer anderer Länder in die DDR kamen. Jeden Morgen holte Brückner Honecker aus der Funktionärswohnsiedlung Wandlitz ab, fuhr ihn in den Staatsrat oder ins Zentralkomitee zur Arbeit. Als Chefpersonenschützer war Bernd Brückner jedoch nicht nur allein für Honecker, sondern auch für die Sicherheit der Staatsgäste zuständig. Er war mit Helmut Schmidt 1981 in Güstrow, mit Michail Gorbatschow zum 40. Jahrestag der DDR in Berlin, auch mit Fidel Castro unterwegs. Und er fuhr Helmut Kohl mit Frau Hannelore und Sohn Peter 1988 bei einem Privatbesuch durch die DDR. Die Reise ging von der Grenzübergangsstelle Herleshausen, wo Kohl nach der Passkontrolle „demonstrativ zum Zwangsumtausch marschiert" sei, über Erfurt und Weimar nach Dresden. Niemand ahnte damals, dass Kohl schon im Jahr darauf tatsächlich Wahlkampf in der Elbestadt machen sollte.
Bernd Brückner zeichnet in seinem Buch das Bild eines Funktionärs, plaudert jedoch keine Intimitäten aus. Honecker sei ungern geflogen, schlief getrennt von seiner Ehefrau Margot, der DDR-Volksbildungsministerin, trank wenig Alkohol, ging am liebsten dreimal in der Woche zum Jagen in die Schorfheide. Er habe seine Enkelkinder abgöttisch geliebt und sich vor dem Zahnarzt gefürchtet. Honeckers Hund, der Cocker Spaniel "Klexi", habe fast jeden gebissen. "Der hatte noch nicht einmal Respekt vor dem Generalsekretär..."
Entspannt sei es im Urlaub der Honeckers zugegangen; meistens hielten sie sich auf der Insel Vilm vor Rügen auf. Erich Honecker habe das Eiland im Gegensatz zur Gattin Margot kaum verlassen. Frau Honecker entschwand dagegen manchmal Richtung Rügen. In Wandlitz hatte sie einen Privat-Pkw. Für die Bewacher war das ein Albtraum. „Frau Honecker konnte so jederzeit mit ihrem Wartburg unkontrolliert ins Land fahren." Zum Beispiel zu ihrer Tochter Sonja und zu Enkelsohn Roberto in die Leipziger Straße nach Berlin, wo sie sich oft aufhielt und in der dortigen Kaufhalle auch einkaufen ging. Fuhr die Volksbildungsministerin im Dienstwagen, nahm sie zum Unbehagen der Sicherheitsleute vorne auf dem Beifahrersitz Platz.
Erich Honecker hatte nach den Worten seines früheren Personenschützers keine Freunde im eigentlichen Wortsinn. „Mit Verteidigungsminister Heinz Keßler konnte er richtig gut, fuhr an dessen Geburtstag sogar zum Dienstsitz der Nationalen Volksarmee nach Strausberg. Stasi-Chef Erich Mielke bekam hingegen an seinem Ehrentag von Honecker einen Blumenstrauß per Kurier. Freundschaften im Politbüro allgemein? „Ich habe davon nicht viel gespürt", sagt Brückner.
War es auf den Auslandsreisen mit Honecker gefährlich? Ausgerechnet in der Sowjetunion wäre ihm beinahe etwas zugestoßen. Dass es der letzte Staatsbesuch im Juni 1989 sein würde, ahnte damals niemand. Erich Honecker war von einstigen Kampfgefährten nach Magnitogorsk im Südural eingeladen worden. Gemeinsam hatten sie dort in den 30er Jahren einen Hochofen errichtet. Der Tag sollte mit Folklore ausklingen, doch dann flogen Wodka-Flaschen Richtung Bühne. Über Honecker hinweg. Die regionalen Veranstalter hatten für den verspäteten SED-Chef ein Rockkonzert unterbrochen und noch einmal die Volkstanzgruppe aus dem Vorprogramm auftreten lassen. „Das Publikum wollte natürlich nicht nochmal die Balalaika-Mädels sehen", sagt Bernd Brückner. Er riet Honecker zum Rückzug. Die Lage eskalierte. „Das war die brenzligste Situation, die ich je mit ihm erlebte."
Fliegerei war nicht das Ding des „Alten", wie Honecker in seiner Abwesenheit laut Brückner von seinen Bewachern betitelt wurde. „Einen Hubschrauber bestieg er schon gar nicht." Die „nervigste Reise" sei die nach Asien 1977 gewesen – mit den Stationen Vietnam, Philippinen und Nordkorea. Nach einer Schießerei rivalisierender Banden am Flughafen Hanoi musste das Regierungsflugzeug nach Einschüssen untersucht werden. „Wir fanden nichts. Weil die Hauptmaschine Tage später doch ausfiel, mussten wir schließlich in eine kleinere TU 134A umsteigen. Aber auch die hatte ihre Macken."
Die letzte dramatische Reise mit seinem Vorgesetzten erlebte Bernd Brückner im Sommer 1989 zum Gipfeltreffen der Mitgliedsstaaten des Warschauer Vertrages nach Bukarest. Dabei erlitt Erich Honecker unerwartet eine Gallenkolik und kam in ein Krankenhaus der rumänischen Hauptstadt. Dort herrschten laut Brückner chaotische Zustände, obgleich es eine Regierungsklinik war. Bernd Brückner und seine Genossen organisierten binnen Minuten den sofortigen Rückflug von Bukarest nach Berlin. Als Honecker im Anschluss operiert werden musste, habe das Politbüro mit öffentlichen Verlautbarungen vorgetäuscht, dass der erste Mann der DDR weiterhin im Amt sei. Erich Honecker habe immer mehr geglaubt, so der Eindruck Brückners, dass die Berichte über ihn im „Neues Deutschland" und in der „Aktuellen Kamera" der Realität entsprachen. Zu dieser Zeit brodelte es in der DDR schon lange; massenhaft flohen die Menschen. Da habe DDR-Wirtschaftslenker Günter Mittag angeblich für Honeckers Genesung angeordnet, keine Zeitungen, kein Radio, kein Fernseher. „Und Honecker hat sich nicht gewehrt. Er verdrängte augenscheinlich die Wirklichkeit."