Kontakt

mdw
Mitteldeutscher Wirtschaftsverlag GmbH
Vor dem Viehtor 22
39576 Stendal

Telefon: 03931 / 21 06 22
Fax: 03931 / 21 06 44
e-Mail: info@verlag-mdw.de

Liebe Leser

André Wannewitz Chefredakteur

Spätestens seit Böhmermanns Satire-Kritik wissen wir, dass gewählte Politiker Probleme im Umgang mit der Pressefreiheit haben. War sein Gedicht, das der TV-Moderator in einer satirischen TV-Show im deutschen Fernsehen vortrug und darin auch Klischees über Türken thematisierte, nun eine Schmähkritik gegenüber dem türkischen Präsidenten oder nicht? Zumindest hat das Hamburger Landgericht Teile…

Spätestens seit Böhmermanns Satire-Kritik wissen wir, dass gewählte Politiker Probleme im Umgang mit der Pressefreiheit haben. War sein Gedicht, das der TV-Moderator in einer satirischen TV-Show im deutschen Fernsehen vortrug und darin auch Klischees über Türken thematisierte, nun eine Schmähkritik gegenüber dem türkischen Präsidenten oder nicht? Zumindest hat das Hamburger Landgericht Teile dieses Gedichts mittlerweile untersagt.

Dennoch: Keine Geringere als Bundeskanzlerin Angela Merkel persönlich, die im In- und Ausland stets auf das Funktionieren demokratischer Strukturen, auf die Einhaltung der Menschenrechte und auf Meinungsfreiheit setzt, hat von höchster Stelle erst den Anstoß gegeben, Böhmermann vor Gericht zu stellen und der Justiz überlassen, den Vorgang aufzuarbeiten. Sie entsprach damit voll und ganz dem Verlangen des türkischen Staatsoberhauptes Erdoğan, den Merkel in der Vergangenheit selbst oftmals ermahnte, in seinem Land die Menschenrechte zu achten. Nun: Hat die von Angela Merkel praktizierte Flüchtlingspolitik dazu geführt, dass Merkel ihre eigenen Positionen nicht mehr hochhält, die sie einst vertrat? Mit dem alternativlosen Plan, dass die Türkei die EU retten soll, weil diese nicht fähig ist, ihre Grenzen zu schützen und die Flüchtlinge zu verteilen, hat sich Merkel jedenfalls völlig in die Abhängigkeit von Erdogan begeben.

Und just in diesem Moment schaltet sich auch das amtierende deutsche Staatsoberhaupt in die Böhmermann-Debatte um Pressefreiheit ein. Ausgerechnet der frühere DDR-Bürgerrechtler, der als erster Chef der Stasi-Unterlagenbehörde eigentlich als Anwalt der Schwachen und Benachteiligten gelten sollte, derer, die vom SED-Regime und von der DDR-Stasi verraten und in höchstem Maße schikaniert und ausgegrenzt wurden, bremst die Abschaffung des Grundgesetz-Paragrafen 90, der das strafrechtliche Vorgehen bei einer Beleidigung oder Verunglimpfung eines Bundespräsidenten regelt. Joachim Gauck findet sogar, die höchste Repräsentanz einer Demokratie verdiene mindestens so viel Ehrerbietung wie ein König.

König Erdoğan, König Gauck, Königin Merkel? Am Liebsten noch mit Heiligsprechung durch den Papst. Das ist nun wirklich zu viel des guten. Aber: Ob gewollt oder nicht, Joachim Gauck befindet sich mit seinem Ansinnen nach meinem Eindruck hier völlig im Einklang mit Erich Honecker. Auch der DDR-Staats- und Parteichef sah sich in seinem Land als der liebe Gott, dem keiner widersprechen durfte. Wer’s trotzdem tat, musste mit vielen persönlichen und beruflichen Nachteilen rechnen. Auch von Pressefreiheit in der DDR war keine Spur. Einfacher wurde es erst im Moment der Wende. Da aber war vielfach der Atem der wirklich Revolutionären, die sich schon Jahre zuvor für eine Erneuerung der DDR und für einen lügenfreien Sozialismus einsetzten, verbraucht. Es begann eine Art Anschlussbewegung, aus der dann die selbst ernannten Bürgerrechtler wie Phönix aus der Asche emporstiegen, um in der neuen Zeit schnell Einfluss zu gewinnen und Karriere zu machen.

Mich selbst kann nichts mehr schockieren, wenn vom Verhältnis zwischen Politik und Presse die Rede ist. Als junger Volkskorrespondent wurde ich von der SED-Führung mit allen Schikanen belegt, weil ich 1988 in einem Artikel über motorradbegeisterte Jugendliche darüber schrieb, dass junge Leute in der DDR im Abseits stehen, die mit ihren Ideen und Wünschen von der Freien Deutschen Jugend allein gelassen werden. Im vereinten Deutschland wird die mdw-Redaktion vom Ministerpräsidenten Sachsen-Anhalts, Reiner Haseloff, und der CDU-Fraktion im Landtag seit Jahren von Pressefesten und Auslandsreisen mit Wirtschaftsvertretern ausgegrenzt, weil mdw die Überprüfung des Regierungschefs auf eine eventuelle frühere Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst der DDR anregte. Die Pressefreiheit, so sehe ich das, wird von den jeweils Herrschenden überall nach Gutdünken ausgelegt und bewertet. Ein Journalismus mit Wächterfunktion über die Politik ist schon lange nicht mehr erwünscht, aber Gott sei Dank in Deutschland gesetzlich verankert.

 

Ein herzliches Glück auf!

André Wannewitz


Top